Die etwas andere „Pilgerreise“ von Thomas K. Peter in Erinnerung an die 1942 vollends ausgelöschte jüdische Gemeinde Gmünds

Schwäbisch Gmünd

Rems-Zeitung

In dieser Woche (27. Januar) ist internationaler Holocaust-​Gedenktag. Anlass, um auch in Gmünd jüdischer Mitbürger zu gedenken, die dem unfassbar grausamen Völkermord der Nazis zum Opfer fielen. An die durch erzwungene Auswanderung und Deportation in Vernichtungslager ausgelöschte jüdische Gemeinde Schwäbisch Gmünd wird auch in der Gedenkstätte Yad Vashem in Israel erinnert.

Dienstag, 25. Januar 2011
Rems-Zeitung, Redaktion
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SCHWÄBISCH GMÜND (hs). Regierungsbaumeister Dipl.-Ing. Thomas K. Peter hat, wie die Rems-​Zeitung schon häufig berichtete, in seiner Eigenschaft als Projektbeauftragter der Entwicklungshilfe der Bundesregierung die Welt gesehen: Afghanistan, Kambodscha, Palästina, auch etliche afrikanische Länder. Fast unbeschreibliches Leid als Folge von Kriegen und sozialen Schieflagen hat er hierbei erlebt. Die Gmünder kennen den Diplom-​Ingenieur auch als erfahrenen Straßenbauer und Verkehrsplaner, der sich immer wieder couragiert einmischt, um vor Fehlplanungen zu warnen. Zeitlebens war er vor allem in Asien mit großen Verkehrsprojekten betraut und hat — bezogen auf Gmünd — schon frühzeitig und erfolgreich auf einen ursprünglich mangelhaften Sicherheitsstandard bei der Tunnelplanung oder auch auf die Nachteile des „Straßenknies“ in der Landesgartenschauplanung aufmerksam gemacht.
Kürzlich trafen wir ihn, als er gerade sonderbar besinnlich von seiner jüngsten Reise heimgekehrt war. Wie Thomas K. Peter erzählt, sei es ihm - mit all seinen vielen interreligiösen Begegnungen im Ausland — ein besonderes Anliegen gewesen, während einer privaten Israel-​Reise die riesige „Gedenkstätte für Holocaust und Heldentum“ Yad Vashem in Jerusalem, aufzusuchen. Es sei, wie er zum Ausdruck bringt, für einen Deutschen ein ganz besonders wichtiger „Pilgergang“ zu einer Gedenk– und Mahnstätte, wo der ganze Wahnsinn des Verbrechens am jüdischen Volk (sechs Millionen Ermordete) einem Besucher sehr ins Bewusstsein gerückt werde. In zahlreichen Teilen aufgegliedert, haben Architekten und Künstler einzelne Episoden dargestellt, wie beispielsweise die Gedenkstätte für 1,5 Million Kinder, die während des Holocaust auf bestialische Weise ermordet wurden. Oder das Denkmal zur Erinnerung an die Deportierten mit einem Originalwaggon der Deutschen Reichsbahn als eine der schlimmsten Symbolik des menschenverachtenden Abtransports der Menschen jüdischen Glaubens in die Konzentrations-​, Arbeits– und Vernichtungslager. Und im „Tal der Gemeinden“ stand Thomas K. Peter plötzlich vor dem Schriftzug „Schwäbisch Gmünd“. Auf etwa einem Hektar und in 107 Steinwänden sind die Namen aller 5000 jüdischen Gemeinden eingraviert, die während des Holocaust vernichtet wurden. Dem 1933 in Gmünd geborenen und aufgewachsenen Thomas K. Peter wurde schlagartig Betroffenheit deutlich. Wie er beschreibt, habe er sich in diesem Augenblick auch wieder an jenen Morgen des Jahres 1939 erinnert, als er mit seinem Opa auf dem Hohenrechberg gestanden sei und dort in einer Wirtschaft im Volksempfänger die Kunde vom Kriegsbeginn gehört habe. „Obwohl ich damals ja nur ein Bub war, weiß ich, wie furchtbar diese Propaganda war, die die Menschen damals auch in Gmünd regelrecht besoffen machte“. Seine Erinnerung an jüdische Kinder und Familien: „Das waren alles fleißige, gute und faire Leute!“
Ein unfassbar langer und grausamer Leidensweg
In ihrem Buch „Mut zur Erinnerung“ hat Historikerin Ortrud Seidel dem Schicksal der jüdischen Gemeindemitglieder gleichermaßen ein Denk– und Mahnmal gesetzt. Ab 1935 begann eine systematische Diskriminierung und Ausgrenzung der jüdischen Mitbürger. So beispielsweise ein Antrag im September 1935, den die Nazis in den Gemeinderat einbrachten: Disziplinarverfahren gegen Mitarbeiter der Stadtverwaltung, die bei Juden einkaufen, so im damals beliebten Kaufhaus Meth („Größtes und schönstes Kaufhaus im Remstal“) in der Bocksgasse (später Merkur, heute Deichmann) und keine Auftragsvergaben der Stadt an jüdische Firmen mehr. Das war erst der Anfang des Schreckens. Die Synagoge wurde von Nazi-​Schergen in der Nacht zum 10. November 1938 verwüstet. Wer unter den jüdischen Familien noch die wirtschaftliche Kraft hatte, wählte schweren Herzens die Auswanderung bzw. Flucht. Nur noch wenige Juden blieben in Gmünd. Sie wurden in zugewiesene Unterkünfte verbannt, wie das so genannte Lüllig-​Dorf. Es handelte sich um eine große Steinbaracke mit acht Kleinstwohnungen, die weder Wasser– noch Stromanschluss besaßen. Lediglich eine Wasserstelle (heute einziges noch sichtbares Überbleibsel) gab es im Freien — im Winter meist zugefroren. Die Einfachstwohnungen des Lüllig-​Dorf, das auch noch direkt neben einer städtischen Kloake errichtet worden war, bestanden jeweils aus einem Raum, einer kleinen Kammer und Schlafkojen. Die letzten jüdischen Mitbürger wurden bis 1942 dorthin einquartiert. Denn nach und nach waren sie praktisch völlig rechtlos, verloren auch den Immobilienbesitz. Es wurde sogar verboten, dass Juden mit „Ariern“ unter einem Dach wohnten. Die letzten Überlebenden der jüdischen Gemeinde Schwäbisch Gmünd wurden zum Umzug ins Lüllig-​Dorf im Becherlehen gezwungen. Im Sommer 1942 folgte schließlich die Deportation. Mit Lkw und einigen wenigen Habseligkeiten wurden sie abgeholt und in Sammellager gebracht, von wo sie dann nach Theresienstadt oder andere Vernichtungslager verschleppt wurden, wo der jahrelange Leidensweg sein noch grauenvolleres Ende fand. In Gmünd gibt es etliche kleine Gedenkstätten, so an der Kreissparkasse an der Katharinenstraße (Standort der Synagoge) oder die Namenstafel am Johannisplatz an der Wand des Prediger. Erstaunlich wirkt, dass vor den Toren der Stadt am Lüllig-​Dorf, das vor etwa 40 Jahren abgerissen wurde, kein einziges Dokument an diese traurige letzte Station der jüdischen Gemeinde Schwäbisch Gmünd erinnert.