Gmünder Eisenbahngeschichte(n), Teil 1: Fortschrittliche und engagierte Bürger und Rathausmitarbeiter gründen im „Adler“ einen Eisenbahn-​Verein

Schwäbisch Gmünd

Rems-Zeitung

An der 1861 eingeweihten Remsbahn wurde ungefähr so lange geplant, gestritten und getüftelt wie im darauf folgenden Jahrhundert am Gmünder B-​29-​Tunnel. Und es ging vor mehr als 150 Jahren auch schon um ganz entscheidende Fragen der städtischen und regionalen Entwicklung.Von Heino Schütte

Mittwoch, 26. Januar 2011
Rems-Zeitung, Redaktion
243 Sekunden Lesedauer

SCHWÄBISCH GMÜND. Zunächst ein Blick weit zurück: Die Ersten waren die Römer, die sich der Verkehrsinfrastruktur im Remstal annahmen. Die schon immer hier vermutete antike Straßenverbindung für schwere Ochsenkarren und schnelle Reiter zwischen den Provinzen des Imperiums in Richtung Neckartal und weiter an den Rhein wurde zuletzt beim Bau des Tunneltrogs an der Lorcher Straße erneut nachgewiesen.
Tatsächlich gelten die römischen Ingenieure auch als Pioniere des Gleisbaus: Sie schlugen an schwierigen Passagen Spurrillen in den felsigen und steinigen Untergrund, damit dort der Schwerlastverkehr der Ochsenkarren mit ihren Lebensmittellieferungen, mit Baumaterial oder auch Töpferwaren sicheren Halt fanden. Sogar in römischen Städten lassen sich Geleisestraßen nachweisen, die auch den praktischen Sinn hatten, dass an Fußgängerüberwegen über herausragende Trittsteine zwischen Mist und Nässe der Fahrspuren ein sicheres und sauberes Überqueren der Fahrbahnen möglich war.
Eine Geleisestraße, die entweder römischen oder auch mittelalterlichen Ursprungs ist, kann direkt am Limes-​Wanderweg zwischen Lorch und Pfahlbronn noch bestens besichtigt und bewundert werden. Viele Jahrhunderte hindurch waren die Menschen auf Pferde angewiesen, wenn sie sich halbwegs flott fortbewegen wollten. Vorläufer der heutigen öffentlichen Verkehrsmittel waren schließlich die Kutschen der Königlichen Post und auch von anderen Dienstleistern. Thurn und Taxis lieferte sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts einen heftigen Streit mit der Regierung von Württemberg um die entsprechende Konzession. Das Unternehmen gehörte zu den Wegbereitern, um die damalige Kleinstaaterei und die vielen Zollgrenzen innerhalb von Deutschland zu überwinden. Zwischen Stuttgart und Nürnberg via Remstal gab es schließlich eine regelmäßige Postkutschenverbindung. Wer sich die Strapazen über holprige Straßen und mit ‘zig Pausen zutraute, der schaffte die Reise von Stuttgart nach Nürnberg doch tatsächlich an einem Tag. Ratsamer war es jedoch, zwecks Erholung des durchgerüttelten Kreuzes und Gesäßes eine Übernachtung in Gmünd oder Aalen einzulegen.
Dann passierten ungeheuerliche technische Entwicklungen, angefangen von der Erfindung der Dampfmaschine bis hin zur daraus entstandenen Idee einer dampfbetriebenen Antriebsmaschine, die man auf Eisensstränge setzen könnte, um Personen und Lasten mit der Geschwindigkeit eines galoppierenden Pferdes zu befördern. Und das sogar vergleichsweise erschütterungs– und ermüdungsfrei. Die Idee der Eisenbahn war geboren und nicht mehr aufzuhalten. In England, Amerika, auch in Belgien waren die Eisenbahningenieure mit der Umsetzung besonders flott.
Dann wurde auch in Deutschland bei fortschrittlich gesinnten Majestäten, Regierungen, Beamten und Bürgern eine Riesentechnikbegeisterung entfacht, als am 7. Dezember 1835 die erste Eisenbahn zwischen Nürnberg und Fürth ihren Regelbetrieb aufnahm. Warnhinweise von besorgten Medizinern und Umweltschützern, wonach Körper und Geist des Menschen und auch die auf den Weiden benachbarte Tierwelt die hohe Dauergeschwindigkeit und –belastung eines solchen Dampfrosses von etwa 20 bis 25 Kilometern in der Stunde nicht ertragen können, verstummten schnell. Zur Technikbegeisterung gesellte sich auch die Vision eines Schienennetzes, das alsbald Länder und Völker verbinden könnte.
Revolutionsgeist und Fortschrittsglaube erfasste auch weitsichtige Rathausmitarbeiter, Unternehmer und Bürger in Gmünd. In der Stadt war eine wichtige Zeitenwende eingeläutet. Unruhige und verdienstvolle Geister aus der Bürgerschaft machten immer wieder auf sich aufmerksam, so beispielsweise einer der bekanntesten Zeitgenossen: Johannes Buhl, Begründer der Turnbewegung und der Feuerwehr.
Dann der entscheidende Punkt der Gmünder Eisenbahngeschichte: Im „Gmünder Intelligenz-​Blatt“, herausgegeben „Mit Königl. Allerhöchster Genehmigung“ erschien in der Weihnachtsausgabe 1835 die Einladung zur Gründung eines „Eisenbahn-​Vereins“. Hintergrund war nicht so sehr die kurz zuvor stattgefundene deutsche Eisenbahn-​Premiere in Nürnberg, sondern eine plötzlich aufgekeimte Angst der Gmünder, man könnte durch hartnäckige Bestrebungen von Nachbarregionen, insbesondere der Stadt Ulm, in den Verkehrsschatten geraten.
Beinahe wären ICE und TGV planmäßig durchs Remstal geflitzt
Ulm sah in jenen Jahren seine Bedeutung als Handelsplatz schwinden. Die Lobby der dortigen Handelsunternehmen und auch Handwerkerstände hatten bereits die „Ulmer Eisenbahn Gesellschaft“ gegründet. Es wurde enormer Druck auf die Württembergische Ministerien ausgeübt. Es ging im Kern um die Frage, wo im damaligen Königreich Württemberg die in jenen Jahren bereits angedachte erste Eisenbahnverbindung von Stuttgart nach Osten in Richtung Bayern verlaufen sollte. Ulm warf die Nähe zum Bodensee in die Waagschale, auch schon die Vision der Fortführung einer europäischen Schienenmagistrale bis nach Österreich-​Ungarn. Die Remstäler schüttelten dagegen den Kopf, beschworen das Ende des Eisenbahntraums, weil die Dampfrösser doch gewiss nicht in der Lage wären, via Göppingen und Geislingen den dort steilen Aufstieg auf die Schwäbische Alb zu bewerkstelligen. Folglich die Argumentation: Wenn schon nach Ulm, dann durchs Remstal und über Aalen und Heidenheim. Oder gleich schnurstracks nach Nördlingen in Richtung Bayern.
Über Jahre hinweg entwickelte sich also ein heftiges Tauziehen, nicht nur zwischen den Städten, sondern auch zwischen Spezialisten des Eisenbahnbaus und Gutachtern. Hierbei wurden auch Experten aus dem Ausland ins Land gerufen, weil das Know-​how in Württemberg einfach noch nicht vorhanden war. Zu allem Durcheinander der Interessenslagen kam ja auch noch die Gründung einer Eisenbahngesellschaft in Stuttgart hinzu. Dort hatte man sogleich auch einen sternförmigen Ausbau des Schienennetzes im Blick, also auch nach Heilbronn. Die privaten Gesellschaften und Vereine verkauften Aktien für die Finanzierung ihres jeweiligen Eisenbahnbaus, so auch in Gmünd. Das Projekt der Remsbahn wurde in der ersten Generalversammlung als „höchst wichtige Angelegenheit“ für Stadt und Umland eingestuft. Auch schon die Einladung klang dramatisch (siehe Zeitungsausschnitt): „Es darf darin von uns nichts versäumt werden.“ Das politische Gerangel und auch die Erkenntnis der gewaltigen finanziellen Herausforderung endete jedoch in der Anweisung, dass der Bahnbau doch besser in staatliche Regie gehören sollte. 1938 wurde in Württemberg das Staatsbahnprinzip eingeführt, damit sich die privaten Eisenbahn-​Kräfte im Land nicht weiter in Kirchturmspolitik und Aktienspekulationen verzetteln. Leider wurde im Streit um die Trassenführung Stuttgart-​Ulm dem Filstal und dem Albaufstieg bei Geislingen Priorität eingeräumt. Oder auch anders betrachtet: Hätten die Gmünder und ihre Mitstreiter in Stuttgart damals lauter auf den Tisch geklopft, lägen wir heute vielleicht direkt an der Magistrale Paris-​Wien und wären unter Umständen sogar planmäßige Haltestelle für den ICE oder TGV.