Gmünder Eisenbahngeschichte(n), Teil 10: Bahn– und Schrankenwärter der Dampfrösser mit Polizeibefugnis unter anderem gegen verunsicherte Rindviecher

Schwäbisch Gmünd

Rems-Zeitung

Eine ganz heikle Herausforderung in den Anfangsjahren der Remsbahn: Wie nur kann man die relativ kurvige Gleisstrecke überwachen und vor zwei– oder vierbeinigen Bedrohungen schützen? Auch die ersten optischen und mechanischen Signalanlagen (Semaphore) sind ein Kapitel für sich.

Freitag, 01. April 2011
Rems-Zeitung, Redaktion
264 Sekunden Lesedauer

SCHWÄBISCH GMÜND. Bereits vor der offiziellen Einweihung der Remsbahn (1861) erscheinen in der damaligen Rems-​Zeitung (sie hieß damals noch „Der Bote vom Remsthal) immer wieder „amtliche Verfügungen“ der Königlichen Eisenbahndirektion und des Stadtschultheißenamtes. Sie spiegeln die Besorgnis wider, denn fortan sollte ein völlig neuartiges eisernes Verkehrsmittel mit der Geschwindigkeit eines galoppierenden Pferdes ohne Ausweichmöglichkeit und mit relativ langen Bremswegen durch das Remstal fauchen.
Trotz der längst aufgekeimten Technikbegeisterung war es gerade den Verantwortlichen der Staatsbahn mulmig zumute. Gefahren und mögliche strafrechtliche Konsequenzen bei Fehlverhalten entlang des neuen Schienenstrangs wurden den Bürgern und vor allem Landwirten immer und immer wieder eingeschärft. Die neuen „Eisenbahnpolizeilichen Vorschriften sind während der nächsten 14 Tage zu Jedermanns Einsicht in der Polizeiwache aufgelegt“, so wurde am 27. Juni 1861 kurz dem Eisenbahnstart den Menschen in den Oberamtsbezirken Gmünd und Welzheim kundgetan.
Furcht um die „Physiognomien“ beim Groß– und Federvieh
Horrorgeschichten kursierten, dass eine schnellfahrende und dampfende „Locomotive“ gefährliche Auswirkungen auf „Physiognomien“ (Aussehen und Verhalten) bei Groß– und Federvieh auf den Weiden und Wiesen haben. Bauern befürchteten gar Einbußen, sollten die Kühe weniger Milch geben oder Hennenund Hahn vor dem herannahenden Dampfross sich nicht rechtzeitig in Sicherheit bringen.
Umgekehrt hatte ja auch die Eisenbahnverwaltung Angst vor Kolissionen mit Tieren, Pferdegespannen und Ochsenkarren. Lange Zeit ging in der Eisenbahngeschichte kein Weg an der Lösung vorbei, dass möglichst in Sicht– und Hörweite zueinander eine Kette von Bahnwärterposten eingerichtet werden musste. Der Personalaufwand muss gigantisch gewesen sein. In direkter Nähe der großen Bahnhöfe, Dörfer und Städte waren es zunächst Schilderhäuschen (ab und zu sieht man noch solche kleine Blech-​Unterstände), welche den Bahnwärtern bei Wind und Wetter Unterschlupf boten. War die Entfernung zur nächsten Siedlung oder Station zu groß, so wurden direkt an der Strecke auch Bahn– und vor allem auch Schrankenwärterhäuser errichtet, wo die Aufsichtsbeamten zusammen mit ihren Familien ständig residieren konnten. Eine ganze Reihe dieser Bahnbauten, oft nur im Abstand von 1000 Metern, sind entlang der Remsstrecke bis heute noch erhalten, jedoch meist seit 40, 50 Jahren schon in privater Hand und teils zu modernen Domizilen oder Wochenendhäusla umgebaut. Doch bei einigen Bahnwärterhäuschen ist der Alltag der Gleis– und Schrankenaufseher noch erkenn– und nachfühlbar. Einsam lebten die Familien an der Bahnstrecke. Es gab weder Strom– noch Wasseranschluss. Die kleinen Bauten, die neben den Bahnhöfen das Remstal und die neue Bahn auf weiten Strecken prägten, waren weitgehend genormt. Die Bewohner waren Selbstversorger mit großen Gärten und Vorratsschuppen. Das Wasser wurde meist aus eigenen Brunnen oder Zisternen geschöpft. Die Bahn– und Schrankenwärter trugen ganz enorme Verantwortung für Mensch, Tier und Sachwerte. Ja, sie wirkten wie eine Lebensversicherung auf Lokomotiv– und Zugführer, besonders auch auf die lange Zeit noch sehr ängstlichen Passagiere. Besonders wenn Letztere sich erstmals zu einer Reise aufs Gleis wagten.
Zunächst war die Remsbahn ja noch eingleisig. Und die Anzahl der Züge war noch überschaubar. Das reichte die einfache Signalgebung mit Flaggen und Laternen noch aus. Die Farben galten für „Halt“ oder „Freie Fahrt“. Auch bestand die Möglichkeit eines optischen Hilferufs zum nächsten Bahnhof, sollte etwa die Kraft einer weiteren Lokomotive benötigt werden, wenn der Güterzug schwerer als vermutet war oder – was auch passierte – der Maschine mangels Wasser oder Brennstoff der Dampf ausgegangen war. Die Bahnwärter waren verpflichtet, in ihren Abschnitten den ganzen Tag auch als Streckengänger unterwegs zu sein, um Schienenstränge, Schrauben, Klammern und auch Brückenbauwerke zu kontrollieren und Tiere vom Bahndamm wegzuscheuchen. Dieses Streckensicherungssystem erinnert an die Machart des Limes der Römer mit ihren in Sichtweite zueinander angeordneten Türmen.
Einsamer und verantwortungsvoller Job an der Remsbahn
Dieses Bahnwärterpersonal entlang der Gleisstränge war nichts anderes als die Vorgänger der heutigen Bahnpolizei. Die uniformierten Wärter durften, gestützt durch die strenge Königliche Eisenbahngesetzgebung, sogar Polizeigewalt ausüben.
Die Remsbahn hatte man immerhin so modern gebaut, dass entlang der Gleise auch schon eine Telegraphenverbindung eingerichtet wurde, um Nachrichten von Bahnhof zu Bahnhof weiterzugeben, doch vertrauten die Bahnwärterstationen noch lange auf einfache optische Signalgebungen. Bedingt durch wachsende Fahrpläne und Zugverbindungen wurden die nur scheinbar idyllischen Zeiten auch an der Remsbahn strenger und wachsamer. Die Bahnwärterhäuschen fungierten verstärkt als sogenannten Blockstationen. In die jeweilige Blockabschnitte durfte nur dann ein Zug hineinfahren, wenn diese eindeutig frei waren.
Dieses System hat sich ja bis in die moderne Sicherheitstechnik des heutigen Eisenbahnverkehrs fortgepflanzt. Während im modernen Verfahren sogar ein Zug elektronisch gestoppt wird, sollten Haltesignale missachtet werden, herrschte damals das Prinzip „Vertrauen und Sicht“. Schnelle Züge flitzen heute mit einem computergesteuerten Raumabstand über die Gleise, weil ein Lokführer bei Hochgeschwindigkeit eh kaum noch in der Lage ist, optische Signalgebungen im Vorbeisausen sicher zu erfassen.
Zurück zur Frühgeschichte der Eisenbahn: Um die Jahrhundertwende schlich sich ein ziemliches Durcheinander an Signalarten und –vorschriften in der Kleinstaaterei des Eisenbahnwesens ein. Die einen Bahnwärter hissten Flaggen, andere gaben mit Körben Signale.
Es gab auch Bahnbetreiber, die schwörten noch auf Hornsignale von Bahnwärterhäuschen und Bahnwärterhäuschen. Dies veranlasste die Verantwortlichen im Jahre 1904 eine verbindliche und einheitliche Eisenbahn-​, Bau– und Betriebsordnung zu erarbeiten.
Schon zuvor gab es eine technische Revolution, nämlich Konstruktion und Vereinheitlichung von großen „Semaphoren“. Diese mechanischen Eisenbahnsignale sollten das ganze Jahrhundert überdauern und das Erscheinungsbild von Bahnhöfen über Generationen hinweg prägen. Engagierte Bahner haben auch in Schwäbisch Gmünd dafür gesorgt, dass ein solches Semaphor, das später auch durch Lichtsignal ergänzt und schließlich auch abgelöst wurde, auf dem Gelände des ehemaligen Güterbahnhofs erhalten geblieben ist. Das historische Schmuckstück steht direkt beim Stellwerk und ist nach den jetzt erfolgten Rückbau– und Abbrucharbeiten auf dem Areal auch weithin sichtbar.
Mit den Zeigern und der runden Tafel erhielten die Lokführer klare Anzeige, so „Halt“, „Fahrt“ oder auch „Langsamfahrt“. Wegen des langen Bremsweges der Züge wiesen Vorsignale (die runden Scheiben) auf die Position des Hauptsignals hin, das gegebenenfalls keinesfalls überfahren werden durfte.
Weiterer Fortschritt: Mit bis zu 1000 Meter langen Seilzügen konnten die Signale auch von einem Stellwerk gesteuert werden. Vielleicht war diese Technik der Anfang vom Ende der Bahnwärter-​Ära auch im Remstal. Denn mit der Zeit hatten sich auch Mensch und Tier an Anblick und Umgang mit den fauchenden Dampfrössern gewöhnt, so dass die bahnpolizeiliche Aufsicht auch nicht mehr so lückenlos erfolgen musste.