Fünftes Lindenhof-​Symposium zur Reflexion sozialer Arbeit

Schwäbisch Gmünd

Rems-Zeitung

Wie wird sich die Organisation von Hilfen in unserer alternden Gesellschaft entwickeln? Dieser Frage ging die Stiftung Haus Lindenhof bei ihrem fünften Symposium zur Reflexion sozialer Arbeit im Congress-​Centrum Stadtgarten mit dem Thema „Re-​Institutionalisierung und Re-​Sozialisierung“ nach.

Donnerstag, 28. April 2011
Rems-Zeitung, Redaktion
141 Sekunden Lesedauer

SCHWÄBISCH GMÜND (pm). Der Trend gehe weg von den zentralen sozialen Großeinrichtungen hin zu dezentralen Hilfenetzwerken in den jeweiligen Gemeinden und Wohnquartieren und weg von der institutionellen, stationären Versorgung hin zu individueller, ambulanter Betreuung, stellte Direktor Jürgen Kunze, Vorstand der Stiftung Haus Lindenhof in seiner Begrüßung fest. Alle drei nachfolgenden Referenten setzten sich in dem Spannungsfeld von Institution und Sozialraum mit dem Thema auseinander.
Werden die großen Institutionen in Zukunft überflüssig oder werden sie sich nur stark wandeln? Welche Rolle spielen die Bürger selbst, das Gemeinwesen und seine Organisation? Wie können Institutionen und Quartiere aufeinander zugehen? Diese Fragen griff ein Podiumsgespräch gleich zu Beginn auf. Unter der Moderation von Sonderschulrektor Ralf Tödter diskutierten Landrat Klaus Pavel, Bürgermeister Dr. Joachim Bläse, der stellvertretende Geschäftsführer der AOK Ostwürttemberg, Josef Bühler, und Direktor Jürgen Kunze von der Stiftung Haus Lindenhof über die zunehmende Bedeutung des Sozialraumes, mit seinen vielfältigen Netzwerken und Selbsthilfekräften.
Institutionen begrenzten oder verhinderten tendenziell Selbstbestimmung und Selbstständigkeit, Individualität und Privatheit so der Sozialwissenschaftler Dr. Peter Messmer, Sozialplaner im Sozialministerium Baden-​Württemberg. Sozialraumorientierung führe zu integrierten Problemlösungsansätzen sowie vernetzten Angebotsstrukturen und vermeide eine immer weiter fortschreitende Ausdifferenzierung und Spezialisierung der professionellen Dienstleistungsangebote. Doch auf Institutionen werde man auch in Zukunft nicht ganz verzichten können, aber sie müssten sich verändern. „Heime können sich aber auch gegenüber dem Gemeinwesen öffnen, bürgerschaftliches Engagement in ihre Arbeit einbeziehen und einen aktiven Beitrag zur Sozialraumgestaltung leisten.“ so Messmer.
Von der „Exklusion zur Inklusion“ so überschrieb Dr. Wolfgang Wasel, Professor an der Hochschule Weingarten, die Entwicklung der sozialen Arbeit. Es habe in den letzten Jahren radikale Veränderungen des Menschenbildes sowie weitreichende gesellschaftspolitische Veränderungen gegeben. „Menschen wollen partizipieren.“, sagte er. Deshalb gehe es darum, neue bürgerschaftliche Hilfesysteme zu gestalten. Die Theorie der Sozialraumorientierung sei eine radikale Kritik an allen Institutionen. Aber auch er war der Überzeugung, dass Institutionen auch künftig eine bedeutende Rolle spielen werden. Es gehe für sie darum den Sozialmarkt aktiv zu gestalten und neue Modelle zu entwickeln.
Er forderte eine Reduktion ihrer Größe, sie müssten künftig „kleinteilig und kleinräumig“ agieren. Institutionen müssten sich verändern, „weg von der Perspektive eines Dienstleisters hin zu einem professionellen Netzwerker mit offenen Systemen und mehr Selbstbestimmung.“ Es müsse um die Frage gehen: „was wollen die Menschen?“ Eine künftige Rolle von Institutionen könne auch die Bildung von Kompetenzzentren sein.
Ursprünglich seien Anstalten die Antwort auf die „böse Gesellschaft“ gewesen, die arm mache und ausbeute, sie leisteten „fürsorgliche Sicherheitsverwahrung“, stellte Dr. Konrad Hummel, Wissenschaftlicher Referent beim Bundesverband für Wohnen und Stadtentwicklung in Berlin fest. Sozialarbeit müsse sich damit auseinandersetzen, dass „wir vor 200 Jahren damit angefangen haben, die gesellschaftlichen Probleme der Menschen durch Ausgrenzung zu lösen.“ Heute gehe es darum, dies wieder zu „re-​naturalisieren“, d.h. gut gedachte Hilfestrukturen zugunsten selbstbestimmter Formen zurückzubauen. Die eigentliche Radikalität des Fortschritts bestehe nicht mehr darin Sondereinrichtungen und Sonderfachlichkeit zu erzeugen, sondern in der Fähigkeit zu integrativem Vorgehen. Dies stelle alle Hierarchien erst mal in Frage. Vor allem forderte er einen Abbau der Expertenmacht. Es gelte die Menschen als Experten in eigener Sache anzunehmen. Die Wohlfahrtsverbände müssten sich politisch einmischen als kluge Experten für die „Re-​Naturalisierung“ der Lebenswelten. Wer andere soziale Verantwortung fördern wolle, müsse sehr genau wahrnehmen, wie sich die Menschen im Sozialen organisieren.