ZFler machten vor 32 Jahren den Anfang /​In den vergangenen drei Jahrzehnten wurden rund 70 000 Amphibien über die Richard-​Bullinger-​Straße getragen

Schwäbisch Gmünd

Rems-Zeitung

Immer wenn es dunkel wird oder wenn es frühmorgens dämmert, helfen Jung und Alt im Schießtal zusammen, um paarungswilligen Erdkröten und Grasfröschen, zuweilen auch Molchen, auf dem Weg zum oder vom Schießtalsee das Leben zu retten.

Mittwoch, 06. April 2011
Rems-Zeitung, Redaktion
173 Sekunden Lesedauer

SCHWÄBISCH GMÜND (bt). Wer Märchen mag, lernt das eine oder andere. Was wenige wissen: Um glücklich zu werden, muss man einen Frosch nicht küssen; es reicht zuweilen, ihn über die Straße zu tragen. Dieser Eindruck drängt sich zumindest beim Blick auf die jungen Leute auf, die Jahr für Jahr in den späten Abendstunden Kröten und Frösche über die Richard-​Bullinger Straße tragen. Gut: Zu Beginn fremdeln Mensch und Tier zuweilen. Sind die nicht glitschig und eklig? Nein, gar nicht. Im Gegenteil.
Insgesamt haben dieses Jahr bereits über 2000 Tiere ihre Reise zum See auf einer Menschenhand angetreten; die Rückwanderung hat ebenfalls begonnen. An einem Abend haben Jule, Inka, Hannah und Elisa 150 einzelne Erdkröten und 16 Pärchen in Sicherheit gebracht, Hannes brachte es auf 116, Steffen auf unglaubliche 227. Am Samstag haben eine Mutter und ihre vier Kinder Stunden kostbarer Freizeit geopfert. Sie alle wirken nicht wie jemand, der Opfer bringt; größtenteils lässt sich echte Begeisterung ausmachen. Die Lehrerinnen, die mit ihren Schülern anrücken, bestätigen: Selbst Kinder, die im Schulalltag wenig motiviert wirken, blühen unter der ihnen übertragenen Verantwortung auf und genießen die quasi-​nächtlichen Aktivitäten — immerhin sind sie oft bis 22 oder 23 Uhr auf der Straße. Ellen Nicolais Natur-​AG der Klösterleschule beteiligt sich seit Jahren an den Aktionen im Schießtal. Die Schülerinnen und Schüler sind mit Taschenlampe, passender Kleidung und Schutzweste ausgestattet — glücklicherweise. Nicht alle Verkehrsteilnehmer halten sich nämlich an die während dieser Zeit installierte „30er Zone“. Nicolai hat etwa 20 junge Freiwillige an der Hand, übernimmt Einsätze aber nur mit acht bis zehn Kindern; mehr wären nicht verantwortungsvoll zu beaufsichtigen. Das Klösterle-​Team hat an einem Abend 138, am anderen gar 281 liebestollen Tieren sicheres Geleit verschafft. Auch die Klasse 6 der Adalbert-​Stifter Realschule ist unter Leitung von Christa Übelmesser seit Jahren dabei — die erfahrene Pädagogin ist so lange und so engagiert dabei, dass sie mittlerweile selbst Schulungen in Sachen Krötenschutz gibt. Von der Assisi-​Realschule in Waldstetten beteiligen sich vier Schüler im zweiten Jahr an der Rettung der Amphibien. Dieses Jahr sind sie im Rahmen eines Praktikums tätig und fertigen unter Anleitung ihres Lehrers Bernd Hummel Berichte an.
32 Jahre ist es her, dass Mitarbeiter der ZF nicht länger mit ansehen konnten, wie jedes Jahr Unmengen Kröten unter Pkw– und Lkw-​Reifen zermalmt wurden. Sie begannen damit, zu den Hauptwanderzeiten Tiere über die Straße zu tragen, schließlich wurde gar, ebenfalls in Eigenregie, ein erster Krötenzaun gebaut. Später änderte sich die Gesetzgebung; Naturschutz wurde öffentliche Aufgabe, und die Stadt musste aktiv werden. Seit dieser Zeit helfen Tierfreunde aus dem gesamten Gmünder Raum mit. Es gibt Eltern, die selbst als Jugendliche geholfen haben und nun den eigenen Nachwuchs vorbeibringen, nicht zuletzt in der Hoffnung, dass die Jugend von heute dereinst ebenfalls die Krötenschutz-​Fackel weitergeben und damit das Überleben der Amphibien im Schießtal sicher stellen wird.
Wie empfindlich das ökologische Gleichgewicht ist, zeigte sich in den Jahren 2003 bis 2007, als die Nachkommen ausblieben. Die Zahl der Kröten, die zum See getragen wurden, nahm Jahr für Jahr ab und erreichte 2009 mit 1983 einen Tiefpunkt. Dann zeigten die 2008 eingeleiteten Maßnahmen Wirkung — unter anderem wurden damals Sträucher und Bäume des Uferbewuchses zurückgenommen, um bessere Besonnung und damit Wassererwärmung zu ermöglichen. 2008 gab es erstmals wieder Jungtiere; 2010 wurden wieder 5159 Kröten und Frösche gezählt, allerdings blieb der Nachwuchs wieder weitgehend aus. Heuer wird beobachtet, dass fast zehnmal mehr Männchen als Weibchen auftauchen. In jedem Fall gilt die Hoffnung der Amphibienschützer dem neuen Jahrgang: Auf dass im Juni wieder viele tausend daumengroße Hüpfer über die in dieser Zeit abgesperrte und mit Wasser besprengte Straße überqueren und sich dabei die Umgebung einprägen. Auch sie sollen ja wiederkommen.
Seit 2006 ist Dr. rer. nat. Friedrich Bay, Vorsitzender des Naturkundevereins und bis 2005 Biologie-​Professor der PH Gmünd, aktiv. Er koordiniert die Einsätze, und oft genug übernimmt er selbst Einsätze - etwa am sehr frühen Sonntagmorgen, wenn Freiwillige rar gesät sind. Er wird nicht müde, die Arbeit seiner Ehrenamtlichen zu würdigen. „Ein herzliches Dankeschön ihnen allen“.