Dr. Andrea Thürmer-​Leung berät Unternehmen beim Aufbau wirtschaftlicher Kontakte mit dem „Reich der Mitte“

Schwäbisch Gmünd

Rems-Zeitung

Ein Gmünder Unternehmer, der zum Aufbau wirtschaftlicher Beziehungen nach China reist, könnte zum Beispiel auf die Idee kommen, seinem Geschäftspartner eine Bifora-​Uhr als heimat-​typisches Geschenk mitzubringen. Das wäre allerdings ein fürchterlicher Fehler.

Freitag, 08. April 2011
Rems-Zeitung, Redaktion
184 Sekunden Lesedauer

SCHWÄBISCH GMÜND. Solche Fehler – Chinesen betrachten Uhren als krassen Hinweis auf die Endlichkeit des eigenen Seins – kann man vermeiden, wenn man sich rechtzeitig Kenntnisse der fremden Kultur aneignet. Wie das geht, vermittelt Dr. Andrea Thürmer-​Leung. Die gebürtige Gmünderin, in Waldstetten aufgewachsen, hat dafür die Firma „Dragon Business“ gegründet und bietet interkulturelle Seminare für chinesische Wirtschaftskultur.
Eine bessere Lehrerin könnte man sich für dieses Gebiet nicht wünschen. Bevor Thürmer-​Leung 2008 nach Deutschland zurückkehrte, hatte sie 23 Jahre im Ausland zugebracht, davon 20 in Hong Kong. Nach dem Abschluss an der Adalbert-​Stifter-​Realschule machte sie zunächst eine Ausbildung zur Hotelfachfrau in der berühmten „Traube Tonbach“ im Schwarzwald – von Beginn an mit dem Hintergedanken, irgendwann ins Ausland zu gehen.
Mit 20 ging die junge Frau dann tatsächlich nach Südafrika, arbeitete hier zwei Jahre lang in einem Restaurant – und machte nebenher noch ihren Pilotenschein. Ein halbes Jahr verbrachte sie außerdem in New York. Dann reifte in ihr der Wunsch, Australien kennen zu lernen. Doch Direktflüge von Südafrika nach Australien erlaubten damals die Behörden nicht. So musste ein Zwischenstopp in Asien eingelegt werden. Andrea Thürmer entschied sich für Hong Kong – und beschloss, hier auch einige Zeit zu arbeiten. Es wurden zwei Jahrzehnte.
Doch nicht nur beruflich schlug die junge Frau schnell Wurzeln in Hong Kong, sondern auch privat. An ihrem ersten Arbeitsplatz lernte sie ihren künftigen Mann, einen gelernten Koch, kennen. Die beiden heirateten 1993. Im Jahr 2000 eröffnete sie die größte chinesische Kochschule der Welt.
Um ihr kulturelles Wissen weiterzugeben ist sie jetzt Chefin von „Dragon Business“ und berät Firmen, die sich in China engagieren wollen. Schließlich ist die zweitgrößte Wirtschaftsmacht der Welt für Deutschland sehr interessant. Zu ihren Kunden zählen Umicore, Triumph, WMF oder Bauknecht. Und damit jeder von ihrem Wissen profitieren kann, gibt sie auch Kurse an der Volkshochschule oder an der Technischen Akademie.
„Derzeit will China von dem Ruf wegkommen, das Fließband der Welt zu sein“, berichtet Andrea Thürmer-​Leung. Man wolle nicht mehr der Billigproduzent sein, sondern Hightech hervorbringen. Der neue Fünfjahresplan verlange, das Wachstum besser zu steuern. Deutschland gelte in China als Vorbild. Deshalb habe man auch den Transrapid gekauft.
Die Wirtschaftszentren Chinas, bislang sehr konzentriert, sollen stärker in die Fläche hinein entwickelt werden. Gleichzeitig werde Umweltschutz massiv zum Thema. Müll soll nicht mehr ins Meer gekippt werden, die erste Kläranlage sei in der einstigen deutschen Kolonie Tsingtao gebaut worden.
Auch in Sachen erneuerbare Energien will China von Deutschland lernen. Es gebe also jede Menge Chancen für hiesige Unternehmen, sich im Reich der Mitte weiterzuentwickeln. Allerdings gelte es dabei Regeln zu beachten. Angriffe auf die Politik seien fürs Geschäft tödlich. China habe eine andere Sicht auf das Thema Menschenrechte, als Europäer. Der Kollektivismus dort führe zu völlig anderen Gesellschaftsstrukturen als der Individualismus hier.
Für Chinesen ist es
das Wichtigste,
das Gesicht zu wahren
Dafür höre sie von ihren Kunden immer wieder Begeisterung über das Tempo in China. Bevor man in Deutschland nach dem Eingang der ersten Genehmigung zur Grundsteinlegung schreiten könne, sei das gleiche Firmengebäude im Reich der Mitte bereits bezogen. Nicht nur deshalb sei es ein schwerer Fehltritt, in Gesprächen mit chinesischen Geschäftspartnern mit westlichem Know-​How zu prahlen.
Man müsse sich darüber im Klaren sein, dass es für einen Chinesen das Wichtigste ist, sein Gesicht zu wahren. Hemdsärmelige Gesprächsführung ist dort am allerwenigsten angesagt: „Sie werden von einem Chinesen nie ein drastisches Nein zu hören bekommen. Aber nicht jedes Ja bedeutet auch Ja. Man spricht dort durch die Blume.“ Wenn ein Chinese einen Vorschlag mit der Formulierung beantworte, dass das für die Zukunft eine sehr interessante Idee sei, könne man sich die Sache – zumindest kurzfristig – abschminken. Man schließe in China keine Tür hinter sich zu. Irgendwann könnte der Vorschlag ja tatsächlich noch einmal von Interesse sein.
Sie wolle ihren deutschen Geschäftspartnern auch das Wissen über die chinesischen Gesprächs– und Geschäftsstrategien vermitteln, die Kinder dort bereits in der Schule beigebracht bekämen. Zum Beispiel, dass man viel Lärm auf einem Nebenschauplatz mache, während man auf dem eigentlich wichtigen Gebiet im Stillen sein Ziel erreiche.
Und natürlich die vielen Fallen, die sich in den Umgangsformen verbergen. Etwa beim Thema Gastgeschenke. Neben der Uhr dürfe man zum Beispiel auch kein Messer überreichen. Das stehe für die Trennung der Beziehung.