Ganz unglücklich unter die Räder des Stadtumbaus geraten

Schwäbisch Gmünd

Rems-Zeitung

Ganz Gmünd blickt mit Freude und Zuversicht dem großen Stadtumbau (Landesgartenschau/​Gamundia-​Projekt) entgegen. Ali und Ismihan Cicek sind zusammen mit ihrem neunjährigen Sohn jedoch ganz unglücklich unter die Räder der Entwicklung gekommen. Aus einem gutgehenden Restaurant wurde ein Hartz-​4-​Fall.

Freitag, 13. Mai 2011
Rems-Zeitung, Redaktion
211 Sekunden Lesedauer

SCHWÄBISCH GMÜND (hs). Wo die Ursachen dieser Misere zu suchen sind, ist nicht ganz klar. Im Nachhinein weiß auch der bislang so begeisterte und motivierte Koch und Gastwirt Ali Cicek, dass er wohl zu gutgläubig, zu schnell und zu unaufmerksam den Vertrag mit dem früheren Besitzer des Bahnhofhotels (Firma Lauser) unterschrieben habe. Auch vertraute er auf das Boom-​Viertel rund um den Bahnhof angesichts der Landesgartenschau. Niemand habe ihm damals, als er sein komplettes Privatvermögen in diesen Standort investierte, gesagt, dass das Gebäude ja auf der Abbruchliste für den Stadtumbau stehe. Doch die Zeit lässt sich halt nicht zurückdrehen.
Rückblende: Nachdem er 15 Jahre lang u.a. für Daimler gearbeitet und ein kleines Vermögen angespart hatte, wollte der gelernte Koch Ali Cicek für seine junge Familie eine Existenz aufbauen und den Traum eines deutsch-​türkischen Restaurants erfüllen.
Als Neubürger sah das Paar in Schwäbisch Gmünd eine tolle Chance. Viele hätten zugeraten, dass dieses kleine Lokal im seitlichen Anbau des 130 Jahre alten Bahnhofhotels ein idealer Standort für ein türkisches Spezialitätenlokal sei. Denn er würde sich ja dann auch in der Entwicklungsfläche für das verheißungsvolle Gamundia-​Projekt befinden. Niemand, weder der Vermieter noch irgendjemand von der Stadt, habe ihn davor gewarnt, dass einige Jahre später bereits die Abbruchbagger vor der Türe stehen könnte. Ali Cicek versichert, dass er damals, also vor sieben Jahren, selbstverständlich bei der Stadt noch ausdrücklich nachgefragt habe.
Rund 130 000 Euro, seine kompletten Ersparnisse, habe er in das Lokal investiert: Nagelneuer Kühlraum, vier riesige Edelstahlkamine mit Ventilatoren, Theken aus Marmor, Mobilar, vor allem ein schöner, von Hand eingebauter Holzbackofen, der allein schon rund 35 000 Euro gekostet habe. Die Ciceks wollten sich mit ihrem Steinofen-​Lokal in der Multikulti-​Innenstadt von Schwäbisch Gmünd bewusst abheben von den vielen türkischstämmigen Schnellimbiss-​Anbietern.
Der Erfolg der Geschäftsidee sei ja dann zunächst auch nicht ausgeblieben. Viele Gäste, Türken und Deutsche, kamen gerne in das saubere und gut geführte Restaurant, darunter auch Stadträte und Bürgermeister, worauf Ali Ismihan anhand auch von Fotos richtig stolz ist. Jedoch habe die Last von 1800 Euro Pacht pro Monat ziemlich gedrückt. Zuversichtlich sei es dennoch weitergegangen. Bis sich die große Gamundia-​Baustelle direkt vor der Türe ausbreitete. Bedingt auch durch den Baustellenverkehr wurde die Zahl der Parkplätze eingeschränkt. Einige Stammgäste hatten offenbar den Eindruck, dass das Lokal überhaupt nicht mehr geöffnet wäre. Ein Schuldenberg begann zu wachsen. Zumindest klangen für die Familie Presseberichte beruhigend, wonach alle bei der Stadtverwaltung sich lobend über das deutsch-​türkische Lokal äußerten und im Falle eines Abbruchs für eine Ersatzlösung sorgen wollten. Im vergangenen Jahr erfolgte dann der Verkauf des Bahnhofhotels mitsamt des Restaurants von der Firma Lauser an die Stadt Schwäbisch Gmünd. Er, Ali Cicek, habe vom beachtlichen Verkaufserlös erfahren und sei davon ausgegangen, dass es entweder von seiten der Firma Lauser oder des neuen Eigentümers eine Entschädigung für seine Investitionen geben würde, mithin das Lokal Bestandteil der sogenannten Verkehrswertermittlung sei. Unglücklicherweise könne beispielsweise der neue Kühlraum, der prächtige Holzofen oder auch die wertvollen Edelstahlkamine nicht einfach hinaus getragen werden, weil sie fest eingebaut sind.
Die Konsequenz nun: Nachdem das Lokal seit einigen Monaten geschlossen ist, sind Ali und Ismihan Cicek schlichtweg pleite. Schweren Herzens, so versichert der Ehemann und Gastronom, beziehe man nun Hartz 4. Doch das sei unter seinem Ehrgefühl. Er sei nach Deutschland und besonders gerne nach Schwäbisch Gmünd gekommen, um zu arbeiten und sich zu integrieren. Er wolle nicht, dass sein Kind in der Schule erzählen müsse, es komme aus einer Hartz-​4-​Familie. Ratlosig– und Traurigkeit macht sich breit.
Markus Herrmann, Pressesprecher der Stadt, erklärt: Die unglückliche Situation der Familie Cicek sei im Rathaus absolut bekannt. Man sei auch sehr betroffen von diesem Schicksal und versuche, zu helfen und Lösungen durch alternative Standorte aufzuzeigen.
Wirtschaftsbeauftragter Klaus Arnholdt habe sich da schon sehr ins Zeug gelegt. Auch der Stadtverwaltung sei der gute Ruf des Restaurants, das durch seine Machart mit offenem Steinofen und Holzkohlengrill die Gastronomie bereichert habe, bekannt gewesen. Man freue sich auch über Bürger mit Migrationshintergrund, die sich mit Fleiß und Investitionen dergestalt in das Gemeinwesen einbringen.
Markus Herrmann wie auch Wirtschaftsbeauftragter Klaus Arnholdt betonen gegenüber der Rems-​Zeitung aber auch ganz klar, dass die Stadtverwaltung trotz der bekannten Umstände im Zusammenhang mit dem Immobilientransfer zwischen der Firma Lauser und der Stadt ganz gewiss nicht das unternehmerische Risiko auffangen könne. Man wolle die Familie gewiss nicht im Regen stehen lassen, habe sich sogar – wo es möglich sei und Sinn mache – für einen Abtransport und eine Zwischenlagerung von Einrichtungsgegenständen bereit erklärt. Im Rathaus hofft man nun, dass die Familie nicht resigniert, sondern jetzt nochmals eigenen Antrieb und die Kraft findet, die Idee eines türkischen Spezialitätenrestaurants in die Tat umzusetzen. Gemeinsam angeschaut habe man hierfür schon das Erdgeschoss des neuen Mobilitätszentrums am Bahnhof.
Ali und Ismihan Cicek blicken jedoch sichtlich antriebslos-​traurig auf die Trümmer ihrer Existenz. Eine völlig verfahrene Situation einer Familie am Rande des Gamundia-​Aufbruchs in die Gmünder Zukunft.