Heute wäre Rosa Sigg hundert Jahre alt

Schwäbisch Gmünd

Rems-Zeitung

Vor hundert Jahren wurde Rosa Sigg geboren, die als Verlegerin und Geschäftsführerin der Rems-​Druckerei Sigg, Härtel und Co. KG ein halbes Jahrhundert Gmünder Zeitungs– geschichte geschrieben hat.

Samstag, 21. Mai 2011
Rems-Zeitung, Redaktion
190 Sekunden Lesedauer

SCHWÄBISCH GMÜND (bt). Es war in den 20er Jahren, genauer am 19. März 1928, als Rosa Aich ein Haus betrat, das ihr ganzes Leben bestimmen sollte: die Rems-​Zeitung. Gmünd war von Wirtschaftskrise und Arbeitslosigkeit besonders hart betroffen, etwas, das auch die Zeitung zu spüren bekam. Rosa Aich, die damals 17 Jahre junge Verlagsassistentin, hat mithin alle Höhen und Tiefen des Zeitungsmachens erlebt. Die junge Frau wurde am 21. Mai 1911 als Spross einer Gmünder Goldschmiedsfamilie geboren; die Mutter führte einen kleinen Laden, und so lernte Rosa recht früh, mit Zahlen umzugehen. In der Rems-​Zeitung lernte sie Georg Sigg kennen und schätzen. Der damals 29-​Jährige hatte aus den USA viele Ideen und jede Menge Schaffenskraft mitgebracht — und eine Liebe zur Zeitung, die er alsbald mit der Frau teilte, die er heiraten wollte. Georg Sigg war seit 1923 Schriftleiter, später dann, 1935, erhielt er Einzelprokura und zwei Jahre später wurde er Geschäftsführer und Gesellschafter des Verlages. Seite an Seite arbeitete das Paar, das sich freilich nach der Hochzeit im Jahr 1937 lediglich an vier gemeinsamen Jahren freuen durfte. Es war bekannt, dass der Verleger keinerlei Sympathien für die Nazis und ihr Regime hegte, und so wurde er 1941 in den Krieg geschickt. Ein Abschied folgte, auf den es kein Wiedersehen gab: Georg Sigg wurde vermisst gemeldet. Seine Frau hat nie erfahren, wie er gestorben ist. Gerade 30 Jahre alt war sie, Mutter von drei kleinen Kindern, als ihr die Verantwortung für den Verlag aufgebürdet wurde. Ein Last, die in jenen Jahren der ständigen Beobachtung und Bevormundung durch die Nazis kaum zu stemmen war. Doch Rosa Sigg hat sich nie beschwert und als Geschäftsführerin ganz selbstverständlich die Aufgaben übernommen, die ihr das Schicksal überantwortet hatte. Sie zeigte Kraft und Durchsetzungsvermögen, Verhandlungsgeschick und Einfühlungsvermögen, vor allem anderen den unbedingten Willen, sich nicht unterkriegen zu lassen. In den Nachkriegsjahren massivem Druck ausgesetzt Im Mai 1945 wurde ihr die Vormundschaft über das Vermögen zugesprochen, das ihr Mann und sie erwirtschaftet hatten; fast zeitgleich gelang es ihr, die Erlaubnis zum Druck eines Amtsblattes für den Stadt– und Landkreis Schwäbisch Gmünd einzuholen. Kurz darauf übernahm sie den Auftrag, in der Remsdruckerei eine amerikanische Soldatenzeitung für die Militärregierung herzustellen — gar nicht so einfach, wo doch Papier und Druckerfarbe knapp bzw. nicht zu transportieren waren. Kurz entschlossen fuhr Rosa Sigg damals in einem Jeep der US-​Armee los, um Papier einzukaufen und so das Überleben des Verlages zu sichern. In den Jahren des beginnenden Kalten Krieges war sie als Unternehmerin bis an die Grenze der Belastbarkeit und darüber hinaus gefordert: Einflussreiche politische Kreise setzten alles daran, die Rems-​Zeitung für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Ein regelrechter Zeitungskrieg wurde angezettelt, über Jahre hinweg war die Verlegerin massiven Anfeindungen und wirtschaftlichen Drohungen ausgesetzt. Landrat Konrad Burkhardt persönlich setzte sie unter Druck. Nachgegeben hat sie nicht, und es ist ihr gelungen, die Unabhängigkeit und liberale Position der Rems-​Zeitung zu bewahren. Das Sparen hat sie, wie das Rechnen, von klein an gelernt; aber sie hat auch gewusst, dass sich ihr Unternehmen ohne Modernisierungen und Betriebserweiterungen nicht würde halten können. So kaufte sie in den 50er Jahren einen Garten des angrenzenden Instituts St. Loreto, um einen Neubau für die Rotation errichten zu können, die bis dato im Erdgeschoss an der Sebaldstraße zu finden war. Die neue MAN-​Rotation wurde 1956 in Betrieb genommen. Ab 1966 teilte sie die Funktion des persönlich haftenden Gesellschafters mit ihrem Sohn. Die beiden haben 1977 die Linotype-​Setzmaschine aufgegeben und auf Fotosatz umgestellt. 1990 zog sich die Seniorchefin aus der Unternehmensleitung zurück. Am 3. Oktober 1993 ist Rosa Sigg nach langer Krankheit, jedoch unerwartet plötzlich im Alter von 82 Jahren verstorben. Frauen wie sie haben nach dem Krieg entscheidend daran mitgewirkt, die Bundesrepublik aufzubauen. Rosa Sigg wurden Lebenserfahrung und Bodenständigkeit bescheinigt, aber auch Willensstärke, die Fähigkeit, neue Wege zu gehen, und unermüdlich zu arbeiten, etwas das sie ihren Kindern mitgegeben hat. Privat hat sie sich unter anderem für die bedürftigen Kinder der Stadt eingesetzt — das Kinderheim St. Canisius war ihr sehr zu Dank verpflichtet. Als Mitbegründerin und Förderin hat sie den Schwäbisch Gmünder Tierschutzverein unterstützt; in den Jahren, in denen es noch kein Tierheim gab, diente nicht selten das Heim der Familie Sigg als Auffangstation. In der nunmehr 225-​jährigen Geschichte der Rems-​Zeitung war sie die erste Frau an der Spitze und ein Glücksfall; wie heute Sohn Meinrad und Tochter Franziska ist ihr die Unabhängigkeit der selbstständigen Heimatzeitung und deren liberale demokratische Grundhaltung zu danken.