Damit die alte deutsche Schrift nicht vergessen wird

Schwäbisch Gmünd

Rems-Zeitung

Brunhilde Kanzler, ausgewiesene Freundin und Expertin der Deutschen Sprache, hat sich daran gemacht, insbesondere den jüngeren Leserinnen und Lesern der RZ den Unter– schied zwischen Deutscher Schrift und Sütterlin zu erklären.

Samstag, 25. Juni 2011
Rems-Zeitung, Redaktion
121 Sekunden Lesedauer


SCHWÄBISCH GMÜND (rz). Zwei Schriftproben hat die ehemalige Oberstudienrätin für Deutsche Sprache, Literatur und ihre Didaktik an der PH Schwäbisch Gmünd, die unter anderem den Irma-​Schmücker-​Preis gestiftet hat, dafür vorgelegt. Damit dürfte sie allen Jüngeren helfen, die sich bemühen, alte Briefe und Tagebücher überhaupt Schriftstücke jeder Art nicht nur zu erhalten, sondern auch zu entziffern.
Bei der ersten Schrift handelt es sich um die sogenannte deutsche Kurrentschrift, die deutsche Schreib– oder Handschrift. Sie war die verbundene Schrift zur Frakturschrift, einer Druckschrift, wie sie im Schriftzug „Rems-​Zeitung“ finden ist. Die Kurrentschrift, die Schreibschrift also, war Jahrhunderte lang als Schulschrift und Gebrauchsschrift in Deutschland üblich. Als verbundene Handschrift erforderte sie viel Übung und überforderte oft die Schulanfänger durch den komplizierten und kleinräumigen Bewegungsablauf. Hinzu kam noch das schwierige Schreiben mit der Stahlfeder, die die Rohrfeder und Gänsefeder abgelöst hatte. So begannen um 1900 Pädagogen und Schriftkünstler nach besseren Lösungen zu suchen.
Unter ihnen war Ludwig Sütterlin, ein Künstler. Er vereinfachte die deutsche Schreibschrift. Er stellte die Buchstaben gerade und vereinfachte sie, in dem er ihnen mehr Raum gab. Kanzler: „Vergleichen Sie das „W“ in Wanderspruch“ und „Weihnacht“ im ersten bzw. zweiten Text. Sütterlin war als Schiftreformer nicht allein — aber die von ihm geschaffenen Formen haben sich durchgesetzt und wurden, mit Abwandlungen, von 1914 (in einzelnen Ländern) bis 1941 von Millionen Schülern gelernt. Die „Sütterlin” stellte bewusst keinen Anspruch auf Schönheit und sollte nur die Grundlage für eine persönliche Handschrift sein. Sie wurde 1934 als sogenannte Sütterlinschrift verbindlich im gesamten Deutschen Reich eingeführt. Allerdings wurde sie schon 1941 wieder aufgegeben mit der offiziellen Begründung, es handele sich bei der korrespondierenden Frakturschrift um eine „Judenletter“. Durch Führererlass wurde als Druckschrift die Antiquaschrift, das heißt die lateinische Schrift eingeführt. Im Schreibschriftbereich entsprach ihr die von den Nazis sogenannte „deutsche Normalschrift“ eine lateinische Schrift, die der später eingeführten Lateinischen Ausgangsschrift glich.
Der wahre Grund für die Abschaffung der Sütterlinschrift als deutscher Schreibschrift und der Fraktur als Druckschrift dürfte aber die Tatsache gewesen sein, dass deutsche Schriften in den eroberten Gebieten schwer zu verbreiten gewesen wären.
Im Folgenden die lateinischen Umschriften der von Brunhilde Kanzler vorgelegten Schreibschrifttexte.
Der Poesiealbumtext:
Zum Andenken!
„Mit Gott“ das sei dein Wanderspruch
in deines Lebens Reisebuch
„Mit Gott“ das sei dein Pilgerstab
auf deinem Gange bis zum Grab
„Mit Gott“ hindurch den Lebenslauf
geh’n dir des Himmels Pforten auf.
Zur Erinnerung
an deine liebe Mutter
Herlikofen,den 28.3.1954
Der zweite Text nennt sich Christbäumchens Weihnacht. Im ersten Abschnitt heißt es:
Viele Tannenbäume standen an der
Straßenecke, große und kleine. Sie waren mit
dem Lastauto weither gekommen und hatten
eng aufeinander gelegen. Ganz steif waren
sie davon geworden. Aber jetzt standen sie stolz
nebeneinander und warteten darauf, in eine
warme Stube getragen zu werden.