Senioren, die ihrem Alter einfach davonfliegen

Schwäbisch Gmünd

Rems-Zeitung

„Klar, das eine oder andere Knöchele tut jetzt öfters weh“, so schmunzeln die fliegenden Senioren vom Hornberg. Doch wenn man ihnen, den so genannten „Mittwochsfliegern“, auf dem traditionsreichen Segelfluggelände eine Weile zuschaut, dann bekommt man so richtig Lust auf das Älterwerden!

Samstag, 20. August 2011
Rems-Zeitung, Redaktion
291 Sekunden Lesedauer


Von Heino Schütte
SCHWÄBISCH GMÜND. Es hat sich so eingespielt in all den vielen Jahren: Jeden Mittwoch übernehmen die Senioren der Fliegergruppe Schwäbisch Gmünd das Kommando auf ihrem angestammten Segelfliegerhorst. Das bedeutet jedoch keinesfalls, dass der Hornberg dann eine Sperrzone für all die vielen jungen Sportskameraden wird. Ganz im Gegenteil. Sofort fällt auf, wie die Flugsportler dort oben auf dem Gmünder Hausberg ein Mehrgenerationen-​Projekt pflegen. Der Nachwuchs sucht die Nähe und den Rat der erfahrenen Fliegerkameraden, und die Älteren sind glücklich darüber, wie sich ihr Verein dank der nachwachsenden Motivation und angesichts vieler sportlicher Erfolge entwickelt. Die Generationen profitieren voneinander. Es gibt nur wenige Gemeinschaften, wo zwischen Alt und Jung soviel Vertrauen herrscht. Das geht im Fliegerbetrieb auf dem Hornberg bis zu „Lebensversicherungen“, wenn beispielsweise der 71-​jährige Dieter Kreusel mit größter Sorgsamkeit und Geduld die Rettungsfallschirme für die Piloten und ihre Passagiere sichtet, pflegt und faltet. Viele Aufgaben werden gemeinsam angegangen, andere sind klar verteilt. Ums gleich vorwegzunehmen: Die „Mittwochsflieger“ pflegen nicht nur das leidenschaftliche Hobby des Flugsports, sondern sie kümmern sich in ungezählten Arbeitseinsätzen auch um das Wohl ihrer Mitbürger sowie um Pflege und Erhalt dieses herrlichen Ausflugsziels inmitten des Naturschutzgebiets Hornberg und Kaltes Feld. Dazu gehören beispielsweise die Aussichtspunkte, die immer wieder freigeschlagen und ausgelichtet werden müssen, damit die Wanderer weiterhin „ins Land“ schauen können. Oder erinnert sei auch an die Einrichtung des gleichermaßen technischen wie auch poetischen Erlebnis– und Lehrpfads zum Thema Segelfliegen rund um den Flugplatz — ein Gemeinschaftswerk der drei Fliegergruppen Gmünd, Waldstetten und Lorch sowie der Segelflugschule des Baden-​Württembergischen Luftfahrtverbands. Auch all das und noch viel mehr an Engegament und Tradition hat auch dazu beigetragen, dass der Hornberg ein wichtiges Stück Heimatgeschichte ist, zur gewachsenen Gmünder Erholungs– und Erlebnislandschaft gehört und deshalb noch nie Anlass zu irgendwelchen Klagen über den Flugbetrieb bot. Ganz im Gegenteil: Jeder Natur– und Technikliebhaber ist seit Kindesbeinen an vom Anblick der in den Aufwinden kreisenden Segelflugzeugen überm dortigen Albtrauf und vom spannenden Start– und Landebetrieb freudig fasziniert.
Diese Faszination wurde bei unseren „Mittwochfliegern“ schon in deren Jugendzeit zur Leidenschaft. Otto Müller (75), der viele Jahre auch Vorsitzender der Fliegergruppe Schwäbisch Gmünd war, kommt dankbar-​besinnlich in Schwärmen, wenn er an das gemeinsame und ungeheuer beständige Fliegerleben zurückdenkt: „Wir haben uns kennengelernt und teils sogar gemeinsam das Fliegen gelernt, da wussten wir noch niemand, wer einmal unsere Frau wird. Und alle haben wir unserer Frauen gefunden und sind trotzdem auf dem Hornberg uns bis heute treu geblieben!“ Das sagt doch alles über die Fliegerkameradschaft aus. Wobei sich die „Mittwochsflieger“ auf im Begriff der Treue zur Ehefrau sofort einig sind. Ja, als Flieger müsse man schon einen Partner haben, der Verständnis für das außergewöhnliche Hobby einbringe. Die gestandenen Mannsbilder vom Hornberg sind sich in der Einschätzung einig: Alle fliegen sie trotz oder gerade wegen des langen und schönen gemeinsamen Lebensweges auf ihre Frauen. Das Flieger– und Eheglück findet nicht nur im leckeren Kuchen oder Wurstsalat seinen Ausdruck, der zur vorgerückter Stunde den sommerlichen Hornberg-​Tag abrundet, sondern beispielsweise auch beim beschaulichen Abendspaziergang auf Hornberg und Kaltem Feld: Abends, wenn die Motorsegler, Schleppmaschinen und Hochleistungsgleiter in der Halle versorgt sind, dann sieht man die Flieger-​Eheleute auch wie frisch verliebt über Piste und Schafweide promenieren. Der Hornberg hält jung; diese Senioren scheinen ihrem Alter einfach davonzufliegen.
Auch die Senioren der Fliegergruppe bauen an der Zukunft des Hornbergs
Was das Thema Frau und erste Techtelmechtel mit der Liebsten anbelangt, erhebt der 89-​jährige „Alterspräsident“ Herbert Graupner allerdings Einspruch: Die gemeinsam Ehe-​Auskunft seiner Fliegerkameraden stimme nicht ganz, denn er sei der Einzige, der seine Frau schon vor der Fliegerkarriere kennenglernt habe. Und sodann kann man dem „Leo“ (jeder hat da noch sein Flieger-​Kürzel) noch stundenlang gebannt zuhören: Herbert Graupner kennt noch den Hornberg aus den Anfangsjahren, als sich dort alljährlich hunderte von begeisterten Segelflugsportlern zu Ausbildung, Wettbewerben und Fliegerlagern trafen. Als 14-​jähriger Bub schon habe er sich der Fliegergruppe Gmünd angeschlossen. Als Vorgängergruppe und –Flugplatz diente in den 30er-​Jahren das Lindenfeld. Bei der abenteuerlichen Segelflug-​Ausbildung saß der Schüler ohne Fluglehrer alleine im Gleiter, der mittels Gummiseilstart den Abhang hinab katapultiert wurde. Zu Beginn der Ausbildung, so erzählt Graupner weiter, seien es nur „Rutscher“ gewesen, um mit der Steuerung und den Reaktionen des Gleiters vertraut zu werden. Dann hob man auch mal einen halben Meter ab. Hernach folgten die ersten Kurven. Einfach nur himmlisch die Gefühlserinnerungen an die ersten echten Schleifen in den Aufwinden am bogenförmigen Westhang des Hornbergs.
Einer hat am Rande der Erzählungen überhaupt keine Zeit für Schwärmereien: Rolf Eisele (71). Er ist Flugbetriebsleiter, nicht nur für die „Mittwochsflieger“. Die sorgsamen Hände immer am exakten, minutiös geführten Flugprotokoll, die wachsamen Augen auf Flugfeld, Monitor oder durchs Fernglas gerichtet, vor allem auch das Ohr immer am Funkgerät: Eisele trägt enorme Verantwortung für Ordnung und Sicherheit bei Start, Landung und im allgemeinen Flugplatzbetrieb, damit sich die Flugzeuge nicht zu nahe kommen. Da gibt’s auch mal einen mächtigen Schrei, auch mal einen deftigen Fluch. Man kennt sich, niemand ist eingeschnappt, sondern heilfroh über diesen zuverlässigen „Flugplatz-​Sheriff“. Auch das kann er nicht leiden, wenn im Funk Flieger und Fliegerin miteinander turteln, weil die sich gerade in einer Thermik-​Blase gemeinsam schon wie im siebten Himmel fühlen und vor Segelflieger-​Glück jauchzen. „Funkdisziplin!!!“ Doch bei einem Ruf wird sogar der Eisele fast schwach, würde am liebsten seinen Posten sofort verlassen: „Hannelore hat einen leckeren Kuchen mitgebracht, Kaffeetreff bei der Halle!“ Auch das gehört zur Fliegerkameradschaft: Einer rennt sofort los, um ein „gutes Stückle“ von Hannelore in den Tower zu bringen. Mit einem normalen Senioren-​Kaffeekränzle hat das nichts zu tun. Felix Rodewald (71) will endlich „raus“ mit einem Rundflug-​Passagier. Heinrich Roob (76) ist stolz auf sein Enkele Christiane (18). Dieter Kreusel (71) hilft der jungen Segelfliegerin beim Anlegen des Fallschirms und ins enge Cockpit hinein. Peter Lakner (71), einst Vizeweltmeister im Segelflug, und Otto Müller erklären währenddessen: Wäre sie in einer Firma Personalchef, dann würden sie bei der Neueinstellung sofort junge Leute bevorzugen, die den Segelflugsport als Hobby angeben. Warum? Ganz einfach, weil diese Menschenkeine „Überflieger“ sind, sondern durch die Fliegerei Tugenden und Erfahrungen in die Berufswelt einbringen können, die mehr denn je nachgefragt seien: Teamgeist, Veranwortung, Achtsamkeit, Verständnis für Technik und Natur, vor allem die Fähigkeit, sich in dreidimensionalen Räumen zu bewegen. Dazu komme das soziale Miteinander im Vereinsleben: In der rund 85-​jährigen Vereinsgeschichte der Fliegergruppe Schwäbisch Gmünd (derzeit rund 150 Mitglieder) habe es noch Probleme gegeben, wenn es Posten und Funktionen zu besetzen galt.
Der gegenwärtig größte Wunsch — nicht nur der „Mittwochsflieger“: Dass es trotz des Rückzugs des BWLV vom Hornberg mit der Flugsporttradition dort weitergehe. Es wären nicht die erfahrenen „Mittwochsflieger“, wenn sie nicht vor Zukunftsideen schon sprühen würden. Auch die Senioren der Fliegergruppe wollen in den Verhandlungen (auch die Stadt ist nun eingeschaltet) dazu beitragen, dass der Hornberg seinen zweiten Frühling er