Anblicke und Einblicke: Baudenkmäler aus dem 19. Jahrhundert zugänglich gemacht

Schwäbisch Gmünd

Rems-Zeitung

Das 19. Jahrhundert war politisch, kulturell und wirtschaftlich vom Aufbruch und dem Drang zu Neuem geprägt. Gleichermaßen besann man sich zurück auf historische Baustile und huldigte romantisch der Vergangenheit. Diese spannende Zeit lebte gestern beim „Tag des offenen Denkmals“ wieder auf.

Montag, 12. September 2011
Rems-Zeitung, Redaktion
155 Sekunden Lesedauer


Von Gerold Bauer
SCHWÄBISCH GMÜND (pm). Rund 4,5 Millionen Menschen zog der Tag des offenen Denkmals gestern in ganz Deutschland an. Weit mehr als 7500 historische Bauten, Parks und archäologische Stätten waren bundesweit geöffnet. Seit 1993 koordiniert die Deutsche Stiftung Denkmalschutz den Tag des offenen Denkmals
Die Besucher konnten dabei vielerorts eine Zeitreise ins 19. Jahrhundert erleben. Unter dem Motto „Romantik, Realismus, Revolution – Das 19. Jahrhundert“ stand eine Zeit des politischen und gesellschaftlichen Wandels und des technischen Fortschritts im Blickpunkt. Denkmaleigentümer, Restauratoren, Architekten und Denkmalpfleger zeigten die bauliche Vielgestaltigkeit des 19. Jahrhunderts. Geöffnet waren zum Beispiel Industrieanlagen, Arbeiterwohnquartiere, Fabrikantenvillen, Kirchen, Bahnhöfe, Brückenbauten oder Schul– und Verwaltungsgebäude aus dieser Zeit.
In Gmünd wurde dieser besondere Tag mit einer Feier im Schwörhaus eröffnet, die dank Live-​Musik und Gesang, Wortbeiträgen, Bildern sowie einer Ausstellung historischer Fahnen von Gmünder Vereinen zu einer echten Multi-​Media-​Show avancierte. „Romantik, Realismus und Revolution sind an sich Begriffe, die man nicht unbedingt im gleichen Atemzug nennt“, räumte der Leiter der Gmünder Musikschule, Friedemann Gramm, bei der Begrüßung ein. Aber gerade weil beim einen Wort der Blick zurück, beim zweiten auf die Gegenwart und beim dritten nach vorne orientiert sei, entstehe ein spannender Dreiklang, der Anregung zum Nachdenken biete. Das „Schwörhaus“ (heute Sitz der Musikschule), wo in alter Zeit die Gmünder ihre Treue gelobten und wo der Stadtrat tagte, sei als Relikt einer jahrhundertelangen Bürger-​Kultur ein guter Ort, um den Tag des offenen Denkmals zu beginnen. Gramm ging außerdem darauf ein, dass erst im 19. Jahrhundert die künstlerische und musikalische Ausbildung für das normale Bürgertum zugänglich wurden.
Oberbürgermeister Richard Arnold dankte zunächst seinem Mitarbeiter Walter Munk für die Koordination der gestrigen Veranstaltung und verwies darauf, dass auch die „Stauferstadt“ Gmünd im Hinblick auf das 19. Jahrhundert sehr viel zu bieten habe — zum Beispiel die Reihe der repräsentativen Stadtvillen entlang des Josefsbachs, die im Rahmen der Landesgartenschau prominent in Erscheinung treten werden. „Lassen sich sich mitnehmen und spüren sie beim Spaziergang durch die offenen Baudenkmäler den Zeitgeist des 19. Jahrhunderts!“, ermunterte der OB das zahlreiche Publikum im vollbesetzten Schwörhaus-​Saal. Dieses Jahrhundert sei vom Aufbruch des Bürgertums und der Demokratiebewegung geprägt worden — wobei sich die Emanzipation des Bürgertums in Gmünd in Zusammenschlüssen in der Feuerwehr sowie im Bereich Sport und Gesang manifestiert habe. Diese Entwicklung sei sehr eng mit dem Namen des Kaufmanns Johannes Buhl verbunden.
Auch Fred Eberle, der als Leiter des Männerchors „Cantate Domino“ dem Publikum die Entstehungsgeschichte der deutschen Chorbewegung sowie von Volks– und Burschenschaftsliedern erläuterte, ging auf die Verdienste von Buhl ein, der ähnlich wie Friedrich Silcher Bleibendes in die Wege geleitet hatte. Doch es wurde nicht nur über die Musik gesprochen, sondern dank der kultivierten Stimmen des Männerchors erklang auch das Liedgut des 19. Jahrhunderts in recht unterschiedlichen Facetten. Besonders viel Beifall gab es, als der Oberbürgermeister die dunkle Anzugsjacke auszog, sich im weißen Hemd in die Reihe der Sänger stellte und sogar noch in brillanter Weise den Solo-​Part sang.
Walter Munk machte in seinen Themenvorträgen mit den groben Zügen der Stadtentwicklung im 19. Jahrhundert (unter anderem dem weitgehenden Abbruch der mittelalterlichen Stadtmauer) vertraut. Baubürgermeister Julius Mihm sprach über einen neuen Denkansatz bei der Betrachtung des Stadtentwicklung. Im Mittelalter und der frühen Neuzeit seien Städte fast immer von Wasserläufen begrenzt gewesen. Vermutlich bildete der natürliche Lauf des Josefsbach im frühen Mittelalter jene „Schneise“, die später den Raum bot, um einen Marktplatz anzulegen — während der Bach dann zunächst im Bereich des Turniergrabens und am Kalten Markt sowie später in sein heutiges Bett umgeleitet wurde.