Ausstellung zum Kinderfriedhof in Gantenwald ab Oktober bei der Volkshochschule

Schwäbisch Gmünd

Rems-Zeitung

Zwangsarbeit wird zum Gmünder Thema. Mit Zeitzeugen, die sich erinnern, aber auch mit einer Ausstellung in der VHS, die sich den toten Kindern aus dem Gantenwald widmet.

Samstag, 03. September 2011
Rems-Zeitung, Redaktion
137 Sekunden Lesedauer

SCHWÄBISCH GMÜND (bt). Wer war jener Franzose, der noch Jahrzehnte nach seiner auf Mutlanger Höfen verbrachten Kriegsgefangenschaft ins Schwäbische zurückkam, weil letztendlich doch Freundschaften gewachsen waren? Was ist dem Ukrainer mit polnischem Pass widerfahren, der im Alter von 15 Jahren fast verhungert und zu Tode verängstigt wie ein Stück Vieh durch halb Europa gekarrt wurde und als alter Mann furchtbare Leidensgeschichten anderer Verschleppter erzählen konnte — weil er selbst Dank der Voggenbergmühle bei Alfdorf überlebt hat? Und warum sind Jahrzehnte vergangen, bis sich die Menschen an den Kinderfriedhof im Weiler Gantenwald bei Bühlerzell erinnert haben, bis sie „in Scham und Trauer“ dieser verhungerten, im Dreck erstickten, ungeliebt und unbeachtet gestorbenen Kinder gedachten, die geboren wurden, um elend zugrunde zu gehen? Diese Geschichte steht beispielhaft für den Umgang mit dem Thema „Fremdarbeit“ in den Jahren und Jahrzehnten nach dem Krieg. Nun nehmen sich VHS und Spitalmühle dieser Geschichte an.
Die auf den Höfen untergebrachten Zwangsarbeiter wurden nicht zwangsläufig misshandelt und missachtet; in vielen Fällen waren sie in die Familien integriert. Und genau dieser oft mangelnde Abstand bereitete dem Reichsamt für das Landvolk bzw. dem Amt für Blutfragen des deutschen Bauerntums große Sorgen. Um zu verhindern, dass die vielfach bei Vergewaltigungen gezeugten Kinder der Zwangsarbeiterinnen wie selbstverständlich Teil der Hofgemeinschaft wurden – auch sei die Pflege der Gebärenden den Bäuerinnen nicht zuzumuten –, wurden „Entbindungsheime“ eingerichtet.
Hochschwangere Frauen aus den Landkreisen Hall, Rems-​Murr, vermutlich auch aus dem Norden des Altkreises Schwäbisch Gmünd mussten ihre Kinder von 1943 bis 1945 in Gantenwald zur Welt bringen. Zwangsarbeiterinnen aus Polen, Russland, Belgien und Holland entbanden unter unvorstellbaren Bedingungen, und sobald sie sich wieder auf den Beinen halten traten sie den langen Weg zurück an die Fron an. Vermutlich hätten sie nicht viel Kraft gehabt, wahrscheinlich keine Milch. Aber sie sollten nie wissen, ob sie ihre Kinder durchgebracht hätten. Denn die Neugeborenen blieben dort, in diesem furchtbaren Haus, wo sie von „braunen Schwestern“ zu Tode gepflegt wurden: in Holzverschlägen aneinander gestapelt, mit Hafersuppe ernährt und ohne jede Zuwendung. An 14 Kinder im Alter zwischen einigen Tagen und acht Monaten, wird in diesem Wald erinnert, dort wo sie einst verscharrt wurden, zudem an eine junge Mutter, die bei der Geburt verblutet ist.
Im Sommer 2010 besuchten Mitglieder der Gruppezwei, einer von Uwe Feuersänger gegründeten Gruppe von Kunstschaffenden, den Gantenwald und verarbeiteten diese Eindrücke dann. Entstanden ist dabei eine Ausstellung mit 30 Bildern, Objekten und Installationen, die von 14. Oktober bis Ende Dezember in der Gmünder VHS zu sehen sein wird

Im Januar gibt es zudem zwei Erzählcafés zum Thema „Fremdarbeit“ in der Uhrenstube. Beim ersten Treffen geht es um Arbeits– und Lebensbedingungen, wo waren auf den Höfen der Umgebung Fremd– und Zwangsarbeiter eingesetzt? Wie wurde das Thema später in Familien– und Betriebsgeschichten integriert? Am zweiten Montag geht es im Erika Künzel-​Stollen um der Geschichte dieser Anlage am Vogelhof und ihre Bedeutung als Schutzbunker im zweiten Weltkrieg. Dietmar Holzwarth hat selbst erlebt, was die im Stollen zur Schwerstarbeit gepressten Zwangsarbeiterinnen fernab der Heimat und ihrer Familien geleistet haben, und er wird von den Erinnerungen erzählen, die die Vogelhofkinder an diese Frauen mit der Aufschrift „Ost“ auf der Kleidung haben.