Eine etwas andere Leidenschaft und ein hochinteressanter Ausflug in die Gmünder Geschichte

Schwäbisch Gmünd

Rems-Zeitung

He, sagt er, unser Buch ist für den skurrilsten Titel des Jahres nominiert. Warum das denn, fragt der Freund.Das sei doch ein Titel wie jeder andere. Aber dieser Freund ist wie Andreas Grünewald einer, der Briefe aus einerZeit sammelt, in der die Briefmarke noch nicht erfunden war.

Samstag, 03. September 2011
Rems-Zeitung, Redaktion
188 Sekunden Lesedauer

SCHWÄBISCH GMÜND (bt). Wusste Stadtarchivar Dr. Klaus-​Jürgen Herrmann, dass der Kaiser im 30-​jährigen Krieg in Gmünd war? In der Fuggerei nächtigte und die entstehenden Salvator-​Anlage bewunderte? Na ja, sagte der, es gebe Rechnungsbelege, und in der Vogt’schen Chronik sei es erwähnt. Aber damit habe es sich. Andreas Grünewald hat ihm dann einen Brief zur wissenschaftlichen Aufbereitung gegeben, der belegt, dass Gmünd Friedrich III. im Sommer 1636 als Hauptquartier gedient hat.
Aber von Anfang an: Der mittlerweile 39-​Jährige ist gelernter Projektingenieur im Kunststoffbereich, hat Maschinenbau studiert, und wie es dazu kam, dass er vorphilatelistische Briefe sammelt — Briefe aus der Zeit, in der es noch keine Marken gab, nur Stempel – weiß er, ehrlich gesagt, selbst nicht genau. Sein Großonkel hat Briefe gesammelt, gut möglich, dass ihn das inspiriert hat.
Vor 17 Jahren hat er seine Begeisterung für dieses außergewöhnliche Hobby entdeckt und es schließlich vor sechs Jahren zum Beruf gemacht. Zu Beginn seiner zweiten Karriere hat er auch schon mal wochenlang zusätzlich gejobbt, um sich einen Brief leisten zu können; 750 Kilometer zu fahren, um sich ein Sammlerstück zu sichern, ist bis heute selbstverständlich. Heute ist er im kleinen Zirkel derer, die seine Leidenschaft teilen, eine Instanz. Als ausgewiesener Experte hat er sich mit seinen Forschungen über Postrouten-​Stempel und Postkurse in Sammlerkreisen einen hervorragenden Namen gemacht. Er hat sich in einem Buch den von Frankreich und Bayern ausgehandelten Porti und Stempel des Postvertrags vom 1. Januar 1822 gewidmet, in weiteren Veröffentlichungen der Portofreiheit in der Helvetischen Republik von 1798 bis 1803 sowie auf über 400 Seiten der Postgeschichte der Helvetischen Republik in jenen Jahren. Jüngstes Projekt war die Mitarbeit am Buch eines Freundes und Kollegen: „1805 bis 1881. Postroutenstempel der Schweiz. Organisation. Postboten. Postrouten“. Eben dieser zehnte Band der schweizerischen Postgeschichte ist jetzt als „skurrilster Buchtitel“ des Jahres nominiert. Was die Philatelisten zwar amüsant finden — aber natürlich überhaupt nicht verstehen können.
Zigtausende Briefe nennt Grünewald mittlerweile sein eigen, optisch sehr schöne sind darunter, und Briefe, deren Stempel sehr selten und begehrt sind — vor allem, wenn sie als Transit-​Briefe über Grenzen hinweg transportiert wurden, etwa von der Thurn– und Taxis-​Post oder der Fischer-​Post im alten Staat Bern. Bis zur Gründung des Kaiserreichs 1871 gab es allein auf deutschem Boden 17 Königreiche, Großherzogtümer, Herzogtümer und Hansestädte, die zumindest zeitweise eigene Postverwaltungen hatten.
Sehr selten sind Grünewalds Briefe englischer Soldaten aus dem Ägypten-​Feldzug — einige der wenigen erhaltenen – oder seine Napoleon-​Briefe, entstanden in unterschiedlichsten Situationen. Als Wahl-​Gmünder war er sehr interessiert, als er von einem bei einer Auktion angebotenen Brief aus Gmünd hörte, der freilich von einem anderen Sammler ersteigert wurde. Dieser wollte sich von der Neuerwerbung partout nicht trennen — außer im Tausch gegen „etwas aus den Türkenkriegen“. So trennte sich Grünewald also von einem unmittelbar nach der Befreiung Belgrads geschriebenen Brief, in dem von der Belagerung durch die Türken und vom Abzug der Truppen berichtet wird. Eine Rarität und mit Sicherheit so wertvoll wie der Gmünder Brief. Aber weil sich der Markt an der Nachfrage orientiert, musste er noch Geld drauflegen: „Ich fand einfach, der Brief gehört nach Gmünd“. Mal abgesehen von einem Hinweis in der Chronik ist dieser Brief der einzige direkte Nachweis für einen Besuch König Friedrich III. in Gmünd — wenige Monate später wurde er zum Kaiser gekrönt. Stadtoberarchivar Dr. Herrmann hat die Geschichte des 30-​jährigen Krieges in Gmünd erarbeitet und sich gerne zu einer Transkription der Grünewald-​Urkunde bereit erklärt.
Im Juli 1636 wurde der König von einem „ehrsamen Rat und Stattschreiber Michael Wingert“ vom Rinderbacher Tor „Biß in die Fuggerey begleitet, indessen aber die Kirch besucht, die zwei schöne Capellen zu S. Salvator, ob welchen sich ihro Majestät sehr verwundert“. Wohl anlässlich dieses Besuchs übergab der Gmünder Magistrat eine Bittschrift, in der er beredt Klage über die hohen Abgaben führte und darum bat, von weiteren Zahlungen verschont zu werden — was angesichts der immensen Kriegskosten illusorisch war. Im Gegenteil: In Grünewalds Brief beschwert sich der König beim Magistrat darüber, dass die Stadt nicht, wie abgesprochen, Bier– und Weinsteuern an die Kriegskasse ablieferte. Offiziell war er in der katholischen Reichsstadt bei einem engen Verbündeten zu Gast, in diesem Brief aber droht er den Gmündern ziemlich offen mit Zwangsmitteln.
Unter anderem diese Urkunde wird in der großen Briefmarkenausstellung im Stadtgarten zu sehen sein.