DGB-​Podiumsdiskussion im Prediger: Ist das deutsche Gesundheitssystem krank?

Schwäbisch Gmünd

Rems-Zeitung

„Es gibt wohl kaum eine traurigere Figur als einen kranken Arzt. Er gleicht einem Kahlköpfigen, der versucht, ein Haarwuchsmittel zu verkaufen!“. Dies schrieb einst George Bernard Shaw. Noch schlimmer: In Deutschland scheint das ganze Gesundheitssystem krank zu sein. Ob dies so ist, versuchte man bei einer DGB-​Podiumsdiskussion gestern im Prediger auszuloten.

Mittwoch, 24. Oktober 2012
Rems-Zeitung, Redaktion
136 Sekunden Lesedauer


Von Gerold Bauer
SCHWÄBISCH GMÜND. Nach der Begrüßung durch den DGB-​Bevollmächtigten Peter Müller wurde der Problemkomplex von Martin Hofmann umrissen. Als Redakteur der Südwestpresse in Ulm befasse er sich seit rund 30 Jahren schwerpunktmäßig mit der Gesundheitspolitik. Ein Gesundheitskongress in Berlin habe erst kürzlich wieder gezeigt, dass das deutsche Gesundheitssystem im Hinblick auf die Ausbildung der Ärzte und des Pflegepersonals sowie bezüglich Arztdichte und Klinikausstattung wohl weltweit das Beste ist, räumte Hofmann ein, verwies im Gegenzug aber darauf, dass die Kliniken im Ostalbkreis darüber klagen, es werde nichts mehr verdient. Das selbe sei von niedergelassenen Ärzten zu hören. Und auch bei der Pflegeversicherung drehe sich alles nur um Module, nicht aber um den individuell unterschiedlichen Pflegebedarf. Immer wieder sei zu hören, dass aufgrund von Pauschalierungen nichts mehr richtig laufe.
Landrat Klaus Pavel beschrieb die Zwickmühle: Bürger und Politik wollen zwar eine Krankenhausversorgung auf sehr hohem Niveau, diese aber zu möglichst geringen Kosten. Der Ostalbkreis habe sehr viel Geld in seine Kliniken investiert und stehe auch dazu, eine flächendeckende Versorgung durch seine drei Kliniken zu erhalten. „Ich bin ein starker Verfechter, die Grundinfrastruktur, übrigens auch bei der Bildung, öffentlich-​rechtlich zu sichern und warne davor, immer mehr zu privatisieren!“ Er habe natürlich ein grundsätzliches Problem damit, dass die finanziell knapp ausgestatteten Kreise Zuschüsse an die Kassen abführen sollen, während jene gewaltige Überschüsse einfahren.
AOK-​Geschäftsführer Josef Bühler bedauerte, dass man in der Gesundheitspolitik immer nur dorthin zeige, wo etwas fehlt. Deshalb werde meist einfach übersehen, wie viel das deutsche Gesundheitssystem völlig selbstverständlich leiste. Er sei der Ansicht, dass es mit dem vorhandenen Geld sehr wohl möglich sei, ein ordentliches Gesundheitssystem zu betreiben. Allerdings seien alle Regulierungen für die stationäre Versorgung immer nur landes– beziehungsweise sogar bundesweit ausgerichtet und werden daher oft der örtlichen Situation nicht gerecht.
Cora Berreth, Personalratsvorsitzende am Ostalb-​Klinikum, rückte die Situation von Patienten und Personal in den Blickpunkt. „Die Kliniken haben kein Ausgaben-​, sondern ein Einnahmenproblem. Dennoch müssten die fehlenden Einnahmen über Einsparungen kompensiert werden“. Dies führe zwangsläufig dazu, dass durch die so genannte „Arbeitsverdichtung“ die Qualität der Patientenbetreuung leide und der Druck aufs Personal teilweise so hoch sei, dass die Beschäftigten selbst krank werden. Die Leistungsfähigkeit der Bediensteten lasse sich nicht beliebig erhöhen. Dennoch zwingen politische Entscheidungen die Krankenhausverwaltungen immer wieder zu Kurzschlusshandlungen.
Anton-​Eugen Schmid ist bei der Gewerkschaft ver.di der zuständige Sekretär für Krankenhäuser und Pflegedienste, und für ihn bestehe kein Zweifel, dass das deutsche Gesundheitssystem krank sei. Selbst Hilfsarbeiter in der Industrie verdienten mehr als ausgebildetes Pflegepersonal, und nicht umsonst wanderten junge Ärzte ins Ausland ab. Private Anbieter zahlen dabei laut Schmid meist noch schlechter als öffentliche Träger. Dass man nicht mehr nach dem medizinisch notwendigen Aufwand, sondern nur noch nach Fallpauschalen abrechne und Kostendeckelungen die Behandlung einschränken, wertete Schmid als klares Zeichen, „dass dieses System krank ist“.
Nach eineinhalb Stunden Diskussion war klar: Alle sind sich bewusst, dass das Gesundheitssystem mit Mängeln behaftet ist — eine Patentlösung, wie diese zu beheben wären, war indes nicht in Sicht.