Philologenverband Nordwürttemberg fordert eigenständige Bildungspläne für das Gymnasium

Schwäbisch Gmünd

Rems-Zeitung

„Viel heiße Luft“ stecke in der baden-​württembergischen Bildungspolitik, geradezu „ein Monsun der Gemeinschaftsschul-​Euphorie“, stellt Ralf Scholl, der Bezirksvorsitzendes des Philologenverbandes Nordwürttemberg fest. Vom Sturm aus demKultusministerium wollen sich die Lehrer nicht beuteln lassen.

Freitag, 23. November 2012
Rems-Zeitung, Redaktion
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SCHWÄBISCH GMÜND (rw). Knapp 100 Delegierte des berufsständischen Verbandes der Gymnasiallehrer kam gestern zur jährlichen Schulvertreterversammlung im Stadtgarten zusammen. Sie vertreten die PhV-​Mitglieder von ebenso viel Gymnasien, auch Gmünder Gymnasien sind darunter. Im Hintergrund stehen die Veränderungen in der Schulstruktur, laut PhV so viele, „wie in den letzten 30 Jahren zusammen.“ Vor allem die Gemeinschaftsschule und die Abschaffung der Verbindlichkeit der Grundschulempfehlung versetzt die Pädagogen in Alarm. Die Gemeinschaftsschul-​Euphorie, so Ralf Scholl, habe „ihren Ursprung in der Stabsstelle ‘Gemeinschaftsschule, Schulmodelle und Inklusion’ im Kultusministerium, eine Insel der Bildungsträumer, die losgelöst vom übrigen Kultusministerium Richtungsentscheidungen trifft.“
Der „Monsun der Gemeinschaftsschulbegeisterung“ treffe zusammen mit dem „eisigen Wind der Einsparzwänge.“ Vorhersehbare Folgen: Die Lehrer stünden im Regen. Bis 2020 soll ein Achtel aller Lehrerstellen wegfallen. Dem setzte der nordwürttembergische Verband erst einmal zwei Resolutionen entgegen, eine berufs– und eine bildungspolitische, die – eine Seltenheit – beide einstimmig von den Delegierten im Stadtgarten angenommen wurden.
Aber „handfeste Aktionen“, so Scholl sollen folgen. Bis zum 7. Dezember läuft noch eine Unterschriftenaktion für eigenständige gymnasiale Bildungspläne. Dafür gebe es auch breite Unterstützung aus der Elternschaft.
Das Kultusministerium spreche vom „Zwei-​Säulen-​Modell“, bestehend aus der Gemeinschaftsschule und dem Gymnasium. Was die eigenständigen Bildungspläne fürs Gymnasium anbelange, seien die Äußerungen aber diffus. Zwar sollen bestehende Leistungsstandards beibehalten werden, es soll aber „spezielle Ergänzungen, Vertiefungen und Erweiterungen für jede Schulart“ geben. Daraus „könnten“ separate Versionen für einzelne Schularten oder Bildungsgänge erstellt werden. Scholl: „Conjunctivus potentialis oder conjunctivus irrealis, das ist hier die Frage. Was wir als Gymnasiallehrer wollen, sind Garantien.“
Ein gemeinsamer Bildungsplan wäre der erste Schritt zu einer Aushöhlung der Gymnasien. Von ihm blieben nur noch die Jahrgangsstufen 10, 11 und 12 mit einer Orientierung auf das Abitur übrig, „und das reicht nicht.“ Der Druck auf die „Hardliner“ der KuMi-​Stabsstelle müsse bleiben, sonst setzten diese sich in der Strukturpolitik durch, „es geht wirklich ans Eingemachte.“
Von den Bedenken des Schulträgers, der auch Partner der Schulpolitik sein wolle, sprach Erster Bürgermeister Joachim Bläse in seinem mit enorm viel Zwischenbeifall aufgenommenen Grußwort. Er habe „uns aus dem Herzen gesprochen“, meinte Scholl.
Im Gmünder Gemeinderat stehe Anfang Dezember der Schulentwicklungsbericht an. Die Stadt gebe ein Bekenntnis zu den dezentralen Grundschulen ab, sie und die Kindertagesstätten werden Bildungszentren. Darüber hinaus werde es schwierig, etwa, was die Zukunft der Realschulen anbelange. Bläse warnte davor, jetzt schon Entscheidungen zu treffen, „keiner weiß, wohin die Reise geht“. Auch das Thema Gemeinschaftsschule sei noch „zu undurchsichtig“ – und das in der speziellen lokalen Bildungslandschaft, wo sich die beruflichen Gymnasien abkoppeln von den allgemeinbildenden Gymnasien, wo sich private Grundschulen und Gymnasien tummeln und sich die Frage stelle, wer aus welchen Gründen dorthin gehe, „darüber muss man offen reden.“ Und die Gymnasien haben Angst, dass mit dem Wegfall der Grundschulempfehlung Schüler kommen, „die es nicht packen“, Kinder, die nach einigen unergiebigen Schuljahren den Glauben an sich verlieren. „Ich bin ein Anhänger von Teilhabegerechtigkeit, aber Teilhabegerechtigkeit hat nichts mit Gleichmacherei zu tun“, so Bläse, „jedes Kind soll an die richtige Schule, dann haben wir enorm viel erreicht.“
Die weitere Tagung befasste sich gestern mit der Hattie-​Studie und den Folgerungen aus dieser Auswertung von tausenden von Studien zum erfolgreichen Lernen. PhV-​Vorsitzender Bernd Saur und Klaus Nowotzin sprachen über den bildungspolitischen Umbruch, Andrea Wessel über die Gemeinschaftsschul-​Entwicklung in Esslingen. Am heutigen Freitag wird die Tagung mit Wahlen und Workshops fortgesetzt.