Chippendale-​Fieber: Fast 1200 Frauen bejubelten zehn halbnackte Männer

Schwäbisch Gmünd

Rems-Zeitung

Ausnahmezustand im Stadtgarten: Das Gekreische ist bis ins Rokokoschlösschen zu hören. In der Pause stehen die Damen vor dem Herrenklo Schlange – „Kerle sind ja keine da“ –, und als ein schöner Mann in Unterhosen ins Publikum fragt, ob das denn im nächsten Jahr wiederholt werden solle, bläst ihn ein von hunderten Frauen gebrülltes „Ja“ beinahe von der Bühne.

Freitag, 30. November 2012
Rems-Zeitung, Redaktion
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SCHWÄBISCH GMÜND (bt). Die Chippendale-​Fans zu beschreiben ist gar nicht so einfach. Die meisten sind jung. Hin und wieder aber sind Stützstrümpfe unterm Rock zu sehen, deren Trägerinnen gut und gern die Enkeltöchter begleiten könnten Und neben dem Minikleidchen findet sich das Cashmere-​Kostüm. Ein Jungesellinnenabschied wird gefeiert: Die Mädels sind an den Hütchen und ihren T-​Shirts zu erkennen, und sie geben keine Ruhe, bis die Braut auf der Bühne die legendäre Restaurant-​Szene aus dem Film „Harry und Sally“ nachspielen muss.
Dass ausgebildete Sänger und Tänzer eine erstklassige Show abliefern, ist eine Sache – das allein aber erklärt nicht, warum derart viele doch recht teure Karten nachgefragt wurden, dass selbst die Stadtgartenerweiterung so gut wie ausverkauft war. Die zehn Männer auf der Bühne ziehen sich mehr oder weniger aus. Meist mehr. Und mit jedem Kleidungsstück, das fällt, steigert sich der Geräuschpegel um ein paar Dezibel. Dazwischen haltloses Gelächter, Aufheulen, durchaus auch mal Fremdschämen, wenn aus einer Zuschauerin unversehens Akteurin wird. „Stell Dir vor, die zerrten dich da hoch“, wispert eine voller Entsetzen. „Mach ich die ganze Zeit, doch die holen mich einfach nicht“, ist nicht ganz die Antwort, die sie erwartet hat.
Was genau die Damen auf der Bühne sehen, gibt den ganzen Abend Gesprächsstoff – im Publikum wird höchstens ein hübsches Hinterteil bejubelt. Bis es soweit ist, tanzen Cowboys und Rapper und Rocker. Vampire und Offiziere, Feuerwehrmänner, Polizisten und Handwerker und was sich sonst noch für Fantasien eignet, die gemeinhin Frauen zugeschrieben werden und die an der Realität zu messen keine auf die Idee käme. Da gibt es eine häusliche Szene, in der die Chippendales in Hemd, Schlips, Unterhose und weißen Socken zu sehen sind – die mit dem Alltag der so ausgelassen feiernden Damen trotzdem rein gar nichts zu tun hat: Bei einem Körperfettanteil von weniger als elf Prozent würde auch ein rosaroter Frotteeschlafanzug gut aussehen. Statt dessen zeigen sich die Jungs im Seiden-​Pyjama, in Lederjeans, im Frack, nicht selten mit Manschetten, Kragen und Fliege, die ihr Markenzeichen sind. Kleidung für die Chippendales muss im Wesentlichen nur eine Voraussetzung erfüllen – nämlich in nullkommanix vom Körper zu reißen sein. Die Requisiten sind da zweitrangig: Sie räkeln sich auf Betten und in Badewannen, posen mit Motorrad und Mopp, umtanzen äußerst lasziv den Grabstein oder bekämpfen als „Men in Black“ Außerirdische – begleitet vom unablässigen Kreischen. Selbst wenn Schmuse– und andere, aktuelle Hits gesungen werden, erstaunlich gut übrigens, und das durchaus gewürdigt wird, ist es nur eine Frage der Zeit, bis wieder ein Hemdle vom Leib gefetzt und ins Publikum geworfen wird.
Männer haben da ganz schlechte Karten. Um so erstaunlicher, dass sich Radiomoderator Lennert, der eine Wette verloren hat, auf die Bühne wagt. Das Ganze hat ihn freilich so nervös gemacht, dass er in nur drei Wochen seinen Körper verändert hat, wie’s andere, wenn überhaupt, in einem Jahr Fitnessstudio schaffen: Die Aussicht, vor knapp 1200 kritischen Frauen bestehen zu müssen – bei so überwältigender Konkurrenz – scheint die beste Trainings– und Diätmotivation überhaupt zu sein. Die Tortour hat sich gelohnt: Auch sein nackter Oberkörper findet Gnade vor verwöhnten Frauenaugen. Und gegen Ende der von der RZ präsentierten Show will minutenlanger Applaus kein Ende nehmen.