Blick auf das Wunder von Christi Geburt

Schwäbisch Gmünd

Rems-Zeitung

„Nachdenken über das Geborensein“ – darüber sprach Pfarrer Robert Kloker an Weihnachten im Münster. Das Thema „Staunen über Unbegreifliches“ wählte Dekan Nau für seine Predigt in der evangelischen Augustinuskirche.

Donnerstag, 27. Dezember 2012
Rems-Zeitung, Redaktion
217 Sekunden Lesedauer


Von Dietrich Kossien
SCHWÄBISCH GMÜND. Der Festgottesdienst am 1. Weihnachtsfeiertag im Heiligkreuzmünster wurde mit der Pastoralmesse F-​Dur op. 147 für Soli, Chor, Orchester und Orgel von Anton Diabelli (1781– 1858) unter der Leitung von Chordirektor und Münsterorganist Stephan Beck, der sich den Orgelpart mit Claudius Beitze teilte, festlich gestaltet. Die Predigt hielt Münsterpfarrer Robert Kloker.
Besonders eindringlich vertonte der Komponist Diabelli in dieser Messe die Worte des Credo „Et incarnatus est“ – also das Geheimnis der Menschwerdung an Weihnachten mit einem Frauenterzett und Solovioline (Walter Töws). Es musizierten Kathrin Bechstein (Sopran I), Silke Wienerroither (Sopran II), Susanne Wiker (Alt), Jens Ellinger (Tenor), Teru Yoshihara (Bass), der Münsterchor und das Münsterorchester.
Zu Beginn seiner Predigt zitierte der Münsterpfarrer das Weihnachtslied „Zu Betlehem geboren ist uns ein Kindelein“, und er stellte die Frage, was es eigentlich heißen würde, geboren zu sein? Das sei zunächst vielleicht eine seltsame Frage, doch es habe seinen Sinn, an diesem Tag über das Geborensein nachzudenken. Nach der Geburt haben wir geschrien, bis uns jemand mit Nahrung, Wärme und Kleidung versorgte. Später gaben uns die Älteren Sprache, Moral, Kultur und Wissen – und schenkten uns Wörter wie „Gott“, „Liebe“, „Gnade“ oder „Jesus Christus“, damit wir beginnen konnten, unserem Dasein einen Sinn zu geben.
Zwar sei man als Erwachsene irgendwann „selbstständig“ geworden, doch diese bedeute nicht Unabhängigkeit, sondern ein mehr oder weniger geringer Grad von Abhängigkeit. Kein Mensch, gleich wer er sei, könne auch nur fünf Minuten ohne Luft überleben oder viele Tage ohne Wasser. Pfarrer Kloker stellte aber auch die wichtige Frage: „Wie lange kann ein Mensch ohne Zuwendung und Liebe überleben?“
Beim Nachdenken darüber, was denn den Menschen ausmache, werde seltsamerweise das Geboren werden meist ausgeblendet. Man spreche vom Ende, aber nicht vom Anfang. Seit der Gotik gebe es realistische Bilder vom Sterben Jesu, nicht aber von seiner Geburt. Davon sei weit und breit nichts zu sehen, und doch bleibe dies die Grundbedingung des Lebens: „Wir werden geboren.“ Auch das sei Teil der Weihnachtsbotschaft – dass Gott einen Neuanfang setze, indem er sich hinein begebe in die Abhängigkeit einer Geburt, die Angewiesenheit eines kleinen Kindes, in eine menschliche Geschichte.
Also gehöre es auch zu unserer eigenen Menschwerdung, ein wenig bescheidener zu werden und dankbar zu sein für das, was uns in die Wiege gelegt wurde. Mancher empfinde vielleicht seine Herkunft eher als belastend, und manche kommen nie zum eigenen Leben, weil sie lebenslang gegen ihre Eltern und ihre Familie rebellieren. Doch: „In der Geburt Jesu ist uns gesagt: ‚Auch in einer schwierigen Herkunft wird sich der Segen Gottes als Kraft erweisen, den eigenen Weg zu erkämpfen‘!“ So sei Weihnachten schließlich ein Ruf an uns, wieder neu aus unserer Geburt zu leben.
„Herrscher des Himmels“
in der Augustinuskirche
Mit der festlichen Musik der dritten Kantate aus dem Weihnachtsoratorium von Johann Sebastian Bach wurde in der evangelischen Augustinuskirche der Weihnachtsgottesdienst musikalisch bereichert. Und mit dem Zitat des zu Beginn gehörten Chorsatzes „Herrscher des Himmels“ begrüßte der Dekan die Besucher am ersten Weihnachtstag und wünschte, dass man in diesen Lobpreis mit einstimmen möge. Zu Beginn begrüßte der Dekan auch die vier Gesangssolisten, die allesamt aus Korea kamen und an diesem Tag symbolisch den weltweiten und internationalen Horizont des Weihnachtsfestes vermitteln.
„Und alle, vor die es kam, wunderten sich der Rede, die ihnen die Hirten gesagt hatten. Maria aber behielt alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen.“ An dieses Wort aus dem Evangelium, das auch ein Rezitativ des Oratorium ist, schloss Dekan Nau seine Predigtgedanken an: „Die entscheidende Schlüsselfigur in dieser Geschichte, Maria, sagt nichts.“ Die, die in der Weihnachtsgeschichte etwas sagen, seien die Engel mit der frohen Botschaft. Maria sage nichts, weil sie offensichtlich noch nicht so recht begriffen habe, was sich durch Jesu Geburt ereignet hatte. Eigentlich hätte sie doch dem Geburtstermin entgegen fiebern müssen. Und als die Hirten kamen und von der Botschaft des Engels erzählten, hätte sie doch zumindest einen weiteren Lobgesang anstimmen müssen. Aber nein, sie habe alles in ihrem Herzen behalten und nichts gesagt, sagte Nau.
Der Dekan hatte dazu Erklärungsversuche. Maria sei zwar überrumpelt gewesen, aber sie habe alle Prophezeiungen in ihrem Herzen behalten. Nur um das besondere religiöse Ereignis von Christi Geburt zu verstehen, sei die Zeit für sie noch nicht reif gewesen. Aber selbst wenn es Maria klar gewesen wäre – wie hätte sie es den anderen denn vermitteln können? Und wie hätte sie auch ahnen können, dass mit der Geburt dieses Kindes die Verheißungsgeschichte des Volkes Israel eine neue Deutung erfahren würde?
Wie auch hätte sie sich vorstellen können, dass sich an der Geburt ihres Kindes die Zeitrechnung fast der ganzen Erde orientieren würde? Ein weiterer Klärungsversuch zum Schweigen Marias: „Worte sind fehl am Platze. Was jetzt zählt, ist Betrachten und Staunen. Wer staunt, braucht keine Worte.“ Staunen geschehe da, wo man etwas wahrnehmen, aber noch nicht begreifen könne. Staunen sei mit einem Geheimnis verbunden, und das plaudere man nicht sofort aus, sondern behalte es zunächst für sich, um die Entwicklung abwarten. Dieses Staunen sei auch für uns moderne Menschen der Zugang zum Weihnachtsgeschehen.