Weiter für die Bratwurst

Schwäbisch Gmünd

Rems-Zeitung

Über ein Jahr hat er das Gmünder Stadtbild geprägt, jetzt sieht man ihn immer seltener: Jörg Kähler, den Bratwurstverkäufer. Wie’s weitergeht, steht in den Sternen, aber eines steht fest: aufgeben wird er nicht.

Dienstag, 19. Juni 2012
Rems-Zeitung, Redaktion
179 Sekunden Lesedauer

SCHWÄBISCH GMÜND (nb). Stets nach vorne zu schauen, ist etwas, was er sich in den vergangenen Jahren zu eigen gemacht hat. Das zeigt sein Lebenslauf und das zeigen auch die unzähligen Stunden, die er in den vergangenen Monaten damit verbracht hat, Bratwürste und dergleichen zu verkaufen.
60 bis 65 Stunden hat der ehemalige Hartz-​IV-​Empfänger wöchentlich gearbeitet, manchmal auch mehr. Die Bilanz ist ernüchternd: sein monatlicher Nettoverdienst lag nach Abzug aller Kosten gerade mal bei rund 500 Euro. Zu wenig, um davon zu leben. Es sei ihm, so Kähler, wichtig, sein Geld nach wie vor alleine zu verdienen und dem Staat nicht auf der Tasche zu liegen. Und so hat er sich auch schon Gedanken gemacht, wie er den Umsatz steigern kann.
Jörg Kähler denkt an eine Angebotserweiterung und möchte beispielsweise belgische Pommes aus frischen Kartoffeln und mit verschiedenen Dips anbieten. An Ideen mangelt es nicht, was fehlt ist ein neuer Wagen mit den entsprechenden Geräten. Bis zu 1800 Euro könnte er alleine stemmen, wie er ehrgeizig erzählt. Doch die Kosten sind weitaus höher; unter anderem benötigt er eine Multiplexplatte, Rollenauszüge, Beschläge, luftbereifte Lenkrollen, einen Gasgrill und eine Gasfriteuse.
Die Idee, Bratwürste zu verkaufen, hatte Kähler schon als kleiner Bub. Oft ist er an der Hand seiner Großmutter über den Wochenmarkt in seiner Heimatstadt Heide (Schleswig-​Holstein) spaziert und jedes Mal, wenn sie dort waren, bekam er eine Bratwurst. Und mehr als einmal bekam die Oma zu hören: „Wenn ich groß bin, dann will ich auch Bratwurstverkäufer werden.“ Er war neun Jahre alt, als seine Familie dem hohen Norden den Rücken kehrte und mit ihm nach Schwäbisch Gmünd zog. Hier besuchte er die Schule und absolvierte eine Ausbildung als Former. Anschließend folgte eine Ausbildung im elektrotechnischen Bereich – beide Male konnte er einen erfolgreichen Abschluss vorweisen. Es folgten 13 Jahre in England, wo er bei einem großen PC-​Händler als After Sales Service Manager arbeitete. Vor zwölf Jahren dann kehrte er nach Schwäbisch Gmünd zurück, wo er zunächst als EDV-​Leiter beschäftigt war. Später dann arbeitete er als Qualitätsmanager im EDV-​Bereich. Auch mit der Automobilindustrie hatte er zu tun, und die allgemeine Krise eben dieser Branche war dann auch der Grund, weshalb er im Jahr 2009 seinen Arbeitsplatz verlor. Ein Jahr lang besuchte er Fortbildungen, „damit auf einem Stück Papier das steht, was ich schon konnte“. Dass er sich fortan TÜV-​geprüfter Qualitätsmanager nennen konnte, führte nicht dazu, dass er mit einer seiner zahlreichen Bewerbungen Erfolg hatte.
Im Jahr 2011 wagte er dann den Schritt in die Selbstständigkeit. Zusammen mit der Unterstützung von Sponsoren, darunter auch der Oberbürgermeister und die Firma Ropa, gelang es ihm, sein Bratwurstmobil zu bauen und am 16. Mai 2011 stand er zum ersten Mal auf dem Marktplatz. Bei Wind und Wetter war er fortan da und dass er eine Aufgabe und noch dazu einen Job hatte, der ihm Spaß machte, zauberte ihm ein Lächeln ins Gesicht und auch die Bratwurstfans bekamen neben einer leckeren Wurst auch immer eine Portion gute Laune mit auf den Weg. Anfangs lag der Tagesverkauf bei 15 bis 17 Bratwürsten; später dann kamen täglich bis zu 35 Kunden.
Doch es war zu wenig Umsatz, um davon leben zu können; allein für die Krankenversicherung musste der Selbstständige monatlich 300 Euro zahlen. Jörg Kähler hatte keine andere Wahl: er musste die Vollzeitbeschäftigung in seinem Bratwurstmobil aufgeben. Traurig, dass in der Nacht zu Fronleichnam auch noch sein rotes Piaggio-​Moped aus der Garage entwendet wurde. Gerade beim Erledigen der Einkäufe war er darauf angewiesen. Der Dieb, so die Bitte von Kähler, möge es doch wieder dort hinstellen, wo er es geholt hat.
Ganz auf die guten Bratwürste verzichten muss man in der Stauferstadt nicht, Jörg Kähler ist immer samstags von elf bis 16 Uhr auf dem Gmünder Marktplatz anzutreffen; unter der Woche arbeitet er für ein Abbruchunternehmen. „Die Selbstständigkeit unter der Woche kann ich mir nicht leisten“, sagt er und wünscht sich nichts mehr, als wieder Tag für Tag auf dem Gmünder Marktplatz zu stehen und dort neben Würstchen auch Pommes zu verkaufen. Und wenn’s 60 bis 65 Arbeitsstunden in der Woche sind, dann ist er sicherlich der letzte, der ein Problem damit hat.