Prof. Dr. Ulrich Müllers bemerkenswerte Fleißarbeit zu Machtergreifung, Kriegs– und Nachkriegszeit in Herlikofen/​Hussenhofe

Schwäbisch Gmünd

Rems-Zeitung

Die Kinder von Pfarrer Heckmann unterrichten lassen? Dem sterbenden kanadischen Piloten beistehen. Ulrich Müller stellte am Montag Abend in der VHS seine Arbeit zum „Dritten Reich“ in Herlikofen vor, die mehr noch als von Namen und Zahlen von Geschichten bestimmt ist und von bis heute aktuellen Fragen.

Montag, 21. Oktober 2013
Rems-Zeitung, Redaktion
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Schwäbisch Gmünd (bt). Mit zunächst einem Sitz im Gemeinderat – der Hussenhofer Bäcker Wilhelm Liebing ist eine schillernde Gestalt – hatte es die NSDAP nach der Wahl im März 1933 in der katholischen Gemeinde Herlikofen nicht leicht. Historiker Müller hat die Chronik der sich anschließenden „Gleichschaltung“ beispielhaft aufgearbeitet, was noch veröffentlicht wird. Vor allem zeigt er auf, wie sich die NSDAP bereits in diesem ersten Jahr 1933 durchsetzen konnte, nicht zuletzt Dank eines Spitzels, der sich der raschen und konsequenten Umsetzung der Diktatur verschrieben hatte. Ulrich schilderte gestern, welche Bedeutung den Radioansprachen des „Führers“ zukam, all den mit Flaggenhissung und Fackelzug als Fest inszenierten politischen Ereignissen. Nicht nur Politik wird in dieser Arbeit dokumentiert und analysiert, auch der Alltag in Herlikofen, etwa die Not vieler Familien in den frühen 30ern, und über Umwege geht es dann doch wieder um Politik. Darum, dass in allen Lebensbereichen Kontrolle abgegeben wurde. So wurde auch Geistlichen ein Treuegelöbnis abverlangt. 211 katholische Geistliche im Bistum Rottenburg – unter ihnen der Herlikofer Pfarrer – folgten einer Weisung Bischof Sprolls und bestanden auf einem Zusatz, worauf ihnen der Religionsunterricht untersagt wurde. In Herlikofen wurden daraufhin 69 von 84 Schülern vom staatlichen Religionsunterricht abgemeldet, in Hussenhofen 87 von 98; unterrichtet wurde fortan in der Kirche oder im Haus der Witwe Widmann, der Eselbäuerin.
Wie Liebing musste sich auch der damalige Bürgermeister Herrmann – zunächst als „Hauptschuldiger“ eingestuft – bei der Entnazifizierung rechtfertigen. Was ihn besonders belastete, ist der Vorwurf, er habe gemeinsam mit Ortsgruppenleiter Josef Domhan Andersdenkende angezeigt und die Brüder Herbst inhaftieren lassen – die beiden kamen ins KZ Dachau und Mauthausen, wo Eduard Herbst starb. Für Herrmann sprachen freilich viele Entlastungszeugen; auch Domhan wurde als „Mitläufer“ eingestuft. Lediglich Ortsgruppenleiter Pius Butz, Lehrer im Ort, wurde nach dem Krieg als belastet verurteilt.
Großen Raum nahm gestern eine Bitte Bürgermeister Herrmanns an 124 Soldaten ein, über ihre Erlebnisse zu berichten – aus dem Westen und aus dem Osten wurde sodann in den ersten Kriegsjahren Zeugnis abgelegt vom Frontgeschehen aus der Sicht ideologisch geschulter und geformter junger Männer. Daheim versuchten derweil Frauen wie Katharina Holz, die mit der Landwirtschaft allein gelassen waren, Sohn oder Mann zurückzubekommen – für Anna Schierle etwa, die mit ihren 69 Jahren, schwerkrank, nach 15 zur Welt gebrachten Kindern und der Trauer um den gefallenen Sohn Otto keine Kraft mehr hatte, gab es zur Rückkehr ihres Sohnes Josef keine Alternative.
Beim spektakulären Absturz eines amerikanischen Bombers im Sommer 1944 bei Burgholz zeigte sich erneut, welche Spannungen es innerhalb der Dorfgemeinschaft gab. Die einen wollten beten mit dem sterbenden Piloten, gaben ihm zu trinken und forderten ein anständiges Begräbnis, die anderen wussten zumindest letzteres zu verhindern.
Vor allem Herliköfer fanden sich im Publikum, die etwa beim Thema der gerade noch rechtzeitig beiseite geräumten bzw. gesprengten Panzersperren ergänzende Informationen beisteuerten. Für Historiker Müller war zudem die Geschichte der ausgebeuteten Zwangsarbeiter in Herlikofen/​Hussenhofen wichtig; einige gaben nach Kriegsende durch blutige Raubzüge auch den US-​Soldaten zu tun.
Sonderstellung, ebenfalls abgehandelt, nehmen die Flüchtlinge und Heimatvertriebenen ein. Hier ging Müller auf das Denkmal vor der Kirche ein, das an 187 1944 in Glaserhau/​Slowakei von Partisanen Erschossene erinnert. Und auf die vom Sohn eines der Opfer geknüpften Kontakte zum heutigen Sklene (Glaserhau), das zum 50. Jahrestag des Massakers ebenfalls ein Denkmal errichtete und regelmäßig Abordnungen zu den Heimattreffen der Glaserhauer entsendet. Ulrich Müller: „Solche Gesten der Versöhnung lassen hoffen.“ Für seine Arbeit, die so viel Geschichte für die Zukunft bewahrt, gab es Anerkennung und Applaus.