Kampf mit den Depressionen: Veranstaltung in St. Vinzenz informierte über die Probleme von Gehörlosen

Schwäbisch Gmünd

Rems-Zeitung

Gehörlose haben mit vielen Bedingungen zu kämpfen, die sich Hörende oftmals nicht vorstellen können. Diese Bedingen belasten oft und führen zu Depressionen. Betroffene schilderten bei einer Veranstaltung in St. Vinzenz ihre Probleme, Experten gaben Hilfestellungen.

Dienstag, 12. November 2013
Rems-Zeitung, Redaktion
218 Sekunden Lesedauer


SCHWÄBISCH GMÜND (el). Sie leben in einer anderen Welt, denn die Umgebung ist entweder ganz ruhig oder sie hat einen anderen Klang; sie kommen nicht immer zurecht in dieser anderen Welt: Dem Kampf mit Depressionen kommt auch und gerade für Gehörlose große Bedeutung zu.
Der Gehörlosenverein Ostalb und die Kontakt– und Informationsstelle für gesundheitliche Selbsthilfegruppen bei der AOK Ostwürttemberg wurden von der Resonanz überwältig. Fassungslos staunten Karin Gaida vom Gehörlosenverein, Michael Svoboda von der AOK und Gehörlosenseelsorger Herbert Baumgarten, wie sich der Saal in St. Vinzenz füllte und füllte, Stühle ausgingen und irgendwann die Halle wegen Überfüllung geschlossen werden müsste. Dem Hörenden wurde nach einer kurzen Zeit des Nachdenkens bewusst, welche Nachteile Nicht– oder Schwerhörende im täglichen Leben in Kauf nehmen müssen, insbesondere in der Umwelt mit Straßenverkehr und vielfältiger Kommunikation. Die Organisatoren hatten mit dem Thema „Gehörlosigkeit und Depression“ augenscheinlich ins Schwarze getroffen, denn sowohl von Seiten der Betroffenen als auch der Therapeuten war das Interesse an der Veranstaltung so groß, dass Gäste aus ganz Süddeutschland begrüßt werden konnten.
Karin Gaida, die Vorsitzende des Gehörlosenvereines freute sich in ihrer Ansprache, übersetzt in Sprache von Gebärdendolmetscherin Verena Siebke, über die große Resonanz. Verena Siebke, die auch von Lautsprache in Gebärdensprache übersetzte, hatte am Samstag ein großes Arbeitspensum zu bewältigen, denn die Referenten hatten viel zu erzählen.
Michael Svoboda betonte zum Auftakt der Veranstaltung, dass die Kraft zur Bewältigung von Problemen aus der Gruppe kommt und Selbsthilfe selbstbewusst macht. „In den Selbsthilfegruppen treffen sich Menschen mit gleichem Krankheitsbild, gleicher Behinderung, Sorgen und Nöten, die sich gegenseitig in der Gruppe helfen können mit ihren persönlichen Erfahrungen, ihrem Wissen“, so der stellvertretende Geschäftsführer der AOK Ostwürttemberg.
Er betonte, dass die Selbsthilfe mittlerweile eine anerkannte Ergänzung der professionellen Therapie ist. Früher kritische Distanz oder gegenseitiges Beäugen hätte sich zwischenzeitlich zu dem Motto gewandelt, „wie können wir zusammen das Beste aus der Lage machen“, so Svoboda weiter.
Informationsdefizit und viele Missverständnisse aufgrund von Kommunikationsbarrieren
Gemeinsam mit Klaus Köder, dem Selbsthilfeberater will die AOK Ostwürttemberg auch in Zukunft das Möglichste tun, um das ehrenamtliche Engagement im Bereich der Hilfe durch Selbsthilfe zu unterstützen und zu fördern. Hermann Gaugele begrüßte die über 200 anwesenden Gäste im Namen der Stadt Schwäbisch Gmünd. Er betonte das Informationsdefizit, die oftmals vorkommenden Missverständnisse zwischen Gehörlosen und Hörenden, weil Kommunikationsbarrieren, zum Beispiel fehlende Kenntnisse der Gebärdensprache, vorhanden sind. Hier sei verstärkt öffentliche Information notwendig, so Gaugele, denn es gebe mehr Menschen mit Schwerhörigkeit oder Gehörlosigkeit als man denkt. Gegenseitiges Verständnis, Begegnungen zwischen Hörenden und Gehörlosen sollen ein Bewusstsein schaffen, für ein gutes Miteinander in der Gesellschaft. Hermann Gaugele betonte angesichts der großen Resonanz auf die Veranstaltung, dass auch in Zukunft noch mehr für die Nichthörenden getan werden müsse.
Beeindruckend die offenen Schilderungen der Betroffenen zum Thema Depression bis nahe an den Selbstmord. So Günther Schallenmüller, der innerhalb eines Jahres die Führungsposition bei einer Betriebskrankenkasse verlor, weil er nicht der „Ackermann-​Typ“ sei, schon Abschiedsbriefe verfasst hatte und dann für elfeinhalb Wochen in der Psychiatrie landete. Krankgeschrieben, antriebslos, schon morgens an den Tod denkend kämpfte sich Günther Schallenmüller aus den Mühlen tiefster Depressionen, fand neue Aufgaben, ging zur Besinnung auf den Jakobsweg und gründete eine Selbsthilfegruppe Depression. Heute akzeptiert er die Depression, arrangiert sich mit ihr und ist dankbar für das heutige Leben. Im positiven Sinne gesagt „Depression ist die Fähigkeit mit tiefster Emotionalität auf Konflikte zu reagieren.“
Die Lebensgeschichten Betroffener können Mut machen und
neue Perspektiven schenken
Auch Walter Karg, vom Bodensee in die Stauferstadt angereist, hatte eine bewegte Geschichte zu erzählen. Er, der erst durch Krankheit schwerhörig wurde, gibt diesem Umstand eine „Mitschuld“ an den Depressionen, die er zu erleiden hatte und mit denen auch er sich zu arrangieren hatte und mit denen er sich arrangiert. Mit Hilfe eines speziellen Hörgerätes kann er sich mit seinen Gesprächspartner sehr gut in Lautsprache unterhalten und mit seiner positiven Ausstrahlung fesselt er schnell seine Zuhörer. Was allerdings massiv stört, ist wenn viele auf einmal auf Walter Karg einreden, dann kapituliert sein Hörgerät und er wird regelrecht gehörlos.
Großen Eindruck auf die Gäste macht mit ihrer Lebensgeschichte und ihrem Referat die gehörlose Psychotherapeutin Dr. Sarah Neef, eine der wenigen gehörlosen Therapeuten überhaupt. Fragen nach dem Referat und eine große Anzahl an persönlicher Ansprache verdeutlichen einmal mehr den Bedarf an Hilfe für Schwerhörige und Gehörlose. Sarah Neef verteilt geduldig Visitenkarten mit Mailadresse und Faxnummer, den wichtigsten Kommunikationsmitteln gehörloser Menschen und beantwortet geduldig Anfragen in Gebärdensprachen aber auch in hervorragender Lautsprache, die ihr ihre Mutter in langjährigen Übungen beigebracht hat.
Sie berichtet von vielen Patienten, die aus einem großen Umkreis nach Sindelfingen und Stuttgart in die Praxen kommen. Von Menschen, die neben dem Handicap Gehörlosigkeit auch mit Depressionen zu kämpfen haben, in allen Altersgruppen. Aber man spürt auch die große Hilfsbereitschaft eines überaus sympathischen Menschen, der selber ein großes Handicap zu tragen hat.
Aufgrund der großen Resonanz geht Klaus Köder von der AOK schon an die Planung der nächsten Veranstaltung, wieder mit einem wichtigen Thema, es wird um Gehörlosigkeit und Suchterkrankungen gehen, auch zu diesem Thema rechnet Klaus Köder wieder mit vielen Besuchern.