Gmünder Preis für Bürgercourage für Gabriele Martis

Schwäbisch Gmünd

Rems-Zeitung

Es war große Anerkennung und Dankbarkeit zu spüren, als Gabriele Martis am Freitag posthum den „Gmünder Preis für Bürgercourage im Gedenken an Katharina und Franz Czisch“ verliehen bekam.

Samstag, 20. April 2013
Rems-Zeitung, Redaktion
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Von Nicole Beuther
SCHWÄBISCH GMÜND. Gabriele Martis (geborene Schoch) habe, so sagte Oberbürgermeister Richard Arnold in seinem Grußwort, ihr Herz und ihre Arme stark gemacht in einer Zeit, in der es viel Mut und viel Courage brauchte, um den in der Stadt ankommenden Vertriebenen zu helfen. Eine Zeit, die auch Sohn Karl-​Wilhelm Martis noch in bester Erinnerung hat, wie er gestern erzählte. Die Aufgabe in der Nothilfe habe erfordert, dass seine Mutter anderes zurückstellen musste. Doch: „Mir hat es an nichts gefehlt.
Kraft hat ihr sicherlich auch die innige Freundschaft zu der Familie Czisch gegeben. Eine Freundschaft, die bereits zwischen den Familien Schoch und Czisch bestand und die Oberbürgermeister Arnold gestern hervorhob. Er sprach von einer wertvollen menschlichen Beziehung auch für das Ehepaar Czisch, „in einer an solchen Kontakten höchst raren Zeit zwischen 1934 und 1945“. Hier erinnerte er unter anderem an die Schwierigkeiten, die Katharina und Franz Czisch hatten, als sie ein Süßwarengeschäft betrieben, das weiterhin als jüdisches Geschäft bezeichnet wurde. Gemeinsam mit Katharina Czisch hat Gabriele Martis später in Gmünd die Nothilfe gegründet. „Viele haben sich da weit lieber um ihre eigenen Interessen gekümmert“, würdigte der OB den Einsatz der beiden Frauen. „Wer sich da für die Flüchtlinge, die aber Vertriebene waren, eingesetzt hat, war bei vielen wenig geschätzt.“
Die Nothilfe war Gabriele Martis wichtiger als die Chance, im Schuldienst zu arbeiten
Der OB erinnerte auch an die Schwierigkeiten, die in den Jahren 1945 und 1946 mit den knappen Essensvorräten, der Kleidung und dem Heizmaterial einhergingen und daran, dass mit dem Eintreffen der Transporte aus Tschechien, Schlesien und Ungarn noch mehr Menschen versorgt werden mussten.
Es sei, so Arnold, ein großes Maß an Mut und Courage nötig gewesen, um die Ankommenden freundlich zu empfangen und für die nötige Betreuung zu sorgen. Anerkennung sprach der Oberbürgermeister Gabriele Martis auch aus für den Mut, dass sie die Chance, im Schuldienst zu arbeiten (sie hatte ihr Studium an der Sozialen Fachschule in München 1940 mit sehr gutem Ergebnis abgeschlossen), aufgab, um auf Bitte von Katharina Czisch die Nothilfe mitaufzubauen und zu führen; „für sie, eine durch den Tod des Ehemannes im Krieg zur Alleinerziehenden gewordene Frau ist das besonders anzuerkennen“. Die Nothilfe sei, so Arnold, gewissermaßen das Dach für die nach der NS-​Herrschaft wieder erstandenen karitativen Verbände Caritas, Innere Mission, Volkshilfe und Rotes Kreuz gewesen. Großlager, wie sie Gabriele Martis bezeichnete, gab es damals unter anderem im Parler-​Gymnasium, in der Jahnturnhalle, im Prediger und in mehreren Wirtschaften. Hinzu kam ein von der Nothilfe eingerichtetes Krankenhaus im Waisenhaus und die „Wärmestuben“ in einigen Wirtschaften. Um all die Menschen versorgen zu können, wurden von den Gmünderinnen Katharina Czisch und Gabriele Martis einst sogar „in einem abenteuerlichen Unternehmen bei Bekannten in Bayern Kartoffeln geholt“.
Drei Jahre, bis 1948, engagierten sich die beiden Frauen in der Nothilfe. „Wie wir wissen, hat dieser couragierte Einsatz damals nicht die Würdigung einer Mehrheit der Gmünder gefunden“, so OB Arnold. Diese wäre aber mehr als berechtigt gewesen. Auch erinnerte Richard Arnold an die unfaire Wahl des Oberbürgermeisters am 18. April 1948, bei der Franz Czisch seinem Mitbewerber Franz Konrad unterlag. Die Begründung damals: „Der hat uns die Flüchtlinge in die Stadt gebracht.“ Umso mehr sei es jetzt nötig, den Gmünder Preis für Bürgercourage zur ehrenden Erinnerung an Katharina und Franz Czisch zu stiften und Gabriele Martis als erste mit diesem Preis auszuzeichnen. Der OB sprach von einem langerwarteten Zeichen an die Familie und dankte dem Gemeinderat und der Bürgerschaft.
Auch nach 1948 zeigte Gabriele Martis großes Engagement und reiste unter anderem drei Monate mit einer Gruppe durch die USA, um den Deutschen dort Einblick in die demokratische Verwaltung einiger Städte zu geben. 1956 bis 1965 war Martis Stadträtin in Gmünd. Auch wurde sie vom Kreistag zur Leiterin des Sozialamtes gewählt – letztlich wurde ein Mann bevorzugt, der die entsprechende Laufbahn hatte. Sie sei dennoch, lobte Arnold gestern, als angesehene Fachfrau mit großem Einsatz bis zum Eintritt in den Ruhestand tätig gewesen.
Auch privat habe sie diesen Einsatz gezeigt und ihre Tanten und später auch die Mutter gepflegt. „So war diese Frau auch im Privaten ganz voll Mut, voll Courage, die sie bis zu ihrem Tod gezeigt hat.“ Übergeben wurde der Preis von Oberbürgermeister Arnold an Karl-​Wilhelm Martis, der Sohn von Gabriele Martis; die Einhorn-​Anstecknadel (siehe Bild oben) trägt den Schriftzug „Courage“.
„Meine Mutter hätte sich mit Sicherheit sehr gefreut“, so Reinhard Czisch zu der posthumen Verleihung des Preises an Gabriele Martis. Er beschrieb den gestrigen Tag auch als einen wichtigen Tag des Gedenkens an seine Mutter Katharina Czisch.