Im Winde klirren die Fahnen

Schwäbisch Gmünd

Rems-Zeitung

Es ist ein später Verschönerungs-​Versuch: Zwei Wochen vor derLandesgartenschau-​Eröffnung hängt die Stadt in der Mutlanger Straße ein paar bunte Fahnen auf.

Dienstag, 15. April 2014
Rems-Zeitung, Redaktion
104 Sekunden Lesedauer

SCHWÄBISCH GMÜND (rw). Wer täglich hier unterwegs ist zwischen Pfitzerkreuzung und Nordstadt und den nördlichen Stadteingang Gmünds passiert, schaut schon gar nicht mehr hin. Den Zustand zwischen der einstigen Gaststätte „Wilder Mann“ – jetzt ein leer stehendes China-​Restaurant – und dem Schrottauto-​Lagerplatz 300 Meter oberhalb kennt man seit Jahrzehnten.
Aber für von Norden kommende Auswärtige stellt der untere Teil der Mutlanger Straße einen ziemlichen Schock dar. Oben, im Einschnitt zwischen Rehnenhof und Stauferklinik, tut sich ihnen zunächst ein wunderbares Panorama auf: das sich wellig hinab senkende Bauernhölzle und Becherlehen, mit dem Wechsel von Wald und Streuobstwiesen, sich windenden Rainen und Gehölzen, dann die im Tal hingelagerte Stadt, darüber in Stufen ansteigend Hardt, Voralblandschaft und der Albtrauf. Es kann einem das Herz aufgehen, die Fahrt hinab macht Lust auf die Stadt. Und dann, weit unten, eine Zeile mit Häusern, von denen einige stark renovierungsbedürftig sind. Die Fassaden anderer, erst vor wenigen Jahren gerichtet, sind schon wieder stark verschmutzt von der Schmutzwasser-​Gischt der Fahrbahn.
Die Eigentümer konnten sich offenbar nicht für das Fassaden-​Programm der Stadtverwaltung erwärmen. Dabei war die Mutlanger Straße extra noch ins förderfähige Gebiet aufgenommen worden. Man kann’s nachvollziehen: Diese Straße ist nach der Eröffnung des Einhorn-​Tunnels noch die einzige von einer Bundesstraße zerschnittene Innenstadtlage. Die B 298 ist die Hauptachse Gmünds nach Norden, keine andere Straße dürfte jetzt so mit Verkehr belastet sein, so verlärmt, so verstaubt. Wer hier wohnt – wohnen muss – hat zu kämpfen, um ein Minimum an Wohnqualität zu bewahren. Oder er hat schon resigniert.
Wer hier seine Fassade richten lässt, kann dabei zusehen, wie sie wieder unansehnlich wird. Im Herbst – ausgerechnet kurz vor der Eröffnung des Tunnels, als der Stau am ärgsten war – ließ die Stadt noch an der Böschung neben der Villa Gatter eine Blumenrabatte anlegen. Und jetzt also die Fahnen, aufgestellt entlang des Gehwegs auf der rechten Seite, der sonst als Parkplatz benützt wurde. Die Gartenschau-​Banner sollen die Blicke von den Fassaden ablenken – aber es könnte auch sein, dass sie in ihrer fröhlich-​frischen Farbigkeit den desolaten Eindruck noch verstärken.
Es ist noch nicht alles, was hier geschieht: In der nächsten Woche folgt die Verkleidung der Eisengeländer mit bunten Holzlatten.
Gestern, an einem kalten Tag, konnten einem hier die Schlusszeilen aus Friedrich Hölderlins „Hälfte des Lebens“ durch den Sinn ziehen: „Die Mauern stehn sprachlos und kalt, im Winde klirren die Fahnen.“