Ziel war der Iran — aber hohe Hürden verhindern das

Schwäbisch Gmünd

Rems-Zeitung

Seit dem 19. Juli befand sich das Gmünder Ehepaar Wolfgang Schlupp-​Hauck und Brigitte Schlupp-​Wick mit dem Tandem auf dem Weg, dessen Ziel eigentlich der Iran sein sollte. In unregelmäßigen Abständen schrieben sie für die Leser/​innen der Rems-​Zeitung Reiseberichte. Heute der 14. und letzte Teil.

Mittwoch, 22. Dezember 2010
Rems-Zeitung, Redaktion
238 Sekunden Lesedauer

Von Wolfgang Schlupp-​Hauck
und Brigitte Schlupp-​Wick
SCHWÄBISCH GMÜND. Von Venedig aus radelten wir durch Oberitalien zum Atomwaffenstandort Aviano. Von dort nach Mailand. Meist regnete es, nur am Gardasee schien die Sonne für uns. Eine Lungenentzündung zwang uns, unsere Tour zu beenden.
In Oberitalien waren wir nicht mehr die einzigen Radler. Trotz des trüben Wetters begegneten uns viele Rennradler, die alleine oder in Gruppen unterwegs waren. Häufig grüßten sie uns mit Salve oder Pace, wenn sie uns im Affentempo überholten. Wir freuten uns wieder auf unserem Tandem zu sitzen. Doch unser Radleroutfit hatte sich völlig verändert. Wir zogen unsere warmen und langen Hosen und Shirts an und darüber die Regenhose und –jacke. Für unsere Fahne stand das italienische Symbol gegen den Irak-​Krieg Pate. Wir entdeckten unterwegs immer wieder Häuser, an denen die regenbogenfarbigen „Bandiere della Pace“ flatterten. Überrascht haben uns zwei Ortsschilder auf denen wir den Zusatz „atomwaffenfreie Zone“ lasen.
Lisa Clark, die Koordinatorin der Mayors for Peace in Italien, hatte für unsere Tour Kontakte zu Friedensgruppen in Castel Franco, Treviso und Padua hergestellt. Sie kümmerte sich auch um Übernachtungsmöglichkeiten auf einem Bauernhof, bei den Comboni-​Missionaren und im Hotel, das uns vom katholischen Pfarrer bezahlt wurde. Mehrfach wurden wir zum Essen eingeladen, privat, in der Pizzeria oder zum Resteessen nach einer Hochzeit. Das Brautpaar war wie wir mit dem Rad auf Hochzeitsreise gewesen.
Drei der Bürgermeistertermine, die sie für uns ausgemacht hatte, fielen buchstäblich ins Wasser. Die Wolkenbrüche und Schneeschmelze führten zu katastrophalem Hochwasser, so dass ihnen die Krisensitzungen keine Zeit für uns ließen. Und auch im Protestcamp gegen die Erweiterung des Militärflughafens Vincensa trafen wir niemanden. Das Camp war überflutet worden.
Zu einem Pressetermin im Rat der Provinz Treviso wurden wir von zwei radelnden Friedensfreunden begleitet, die ihre Räder ebenfalls mit der Pace-​Fahne schmückten. Der Bürgermeister von Aviano berichtete uns, dass er im August zum Hiroshima-​Tag immer zu einer Gedenkveranstaltung an der Airbase einlädt, auf der die USA Atomwaffen lagert. Er freut sich, dass daran bis zu 20 Amtskollegen aus der Umgebung teilnehmen. Er lud uns ein, im nächsten Jahr dabei zu sein, wenn die Friedensgruppen radeln.
Das Radeln in der oberitalienischen Ebene wird bisweilen eintönig. Die Strecken sind eben und kerzengerade. Im Kilometertakt passiert man riesige Kreisel und dazwischen reihen sich neu errichtete Industriebetriebe aneinander.
Herausragend war deshalb die Umrundung des Gardasees. Petrus war uns hold und ließ für diese drei Tage die Sonne scheinen. Wir konnten so das mediterrane Flair vor den schneebedeckten Bergen genießen. Tummeln sich hier im Sommer zehntausende von Touristen so war nun tote Hose. Die meisten Hotels hatten geschlossen und auf den Straßen war wenig Verkehr. Ideale Bedingungen. Wir wurden gewarnt, auf der Westseite zu radeln, viele lange und schlecht beleuchtete Tunnels. Wir wagten es dennoch und wurden mit vielen herrlichen Ausblicken belohnt.
Im strömenden Regen mussten wir nach Mailand weiter. Wenn uns einer der vielen Lkw überholte, erhielten wir immer noch eine extra Dusche verabreicht. Vor allem Brigitte bekam das Spritzwasser ins Gesicht, durch ihre niedrigere Sitzposition. Trotz guter Regenbekleidung waren wir schon durch und durch nass, als ein riesiger Lkw am Straßenrand stand. Der Fahrer gab uns Zeichen, dass wir anhalten sollten. Wir waren sehr verwundert, was er von uns wollte.
In einer Unterführung stand
das Wasser zehn Zentimeter hoch
Wieder Zeichensprache, er hatte uns überholt und beschlossen anzuhalten, um uns mitnehmen. Da konnten wir nicht nein sagen. Seine Ladefläche war völlig leer und er zurrte dort Tandem und Hänger fest. In Paullo kurz vor Mailand lud er uns direkt vor einem Hotel ab. Im strömenden Regen ging es am nächsten Morgen weiter. In einer Unterführung stand das Wasser über zehn Zentimeter hoch.
Am Ortsrand von Mailand ließ sich das Vorderrad nur noch schwer lenken, der Reifen war platt. Wir schoben das Fahrrad in den gegenüberliegenden Recyclinghof. Dort konnten wir es unter einer Überdachung unterstellen, um es im Trockenen zu reparieren und zu vespern. Ein Mitarbeiter brachte uns etwas zum Trinken und Seife zum Hände waschen. Er erzählte uns, dass wir in Mailand aufpassen sollen, in Gaststätten würden Touristen Speisekarten mit höheren Preisen vorgelegt als Einheimischen. Und tatsächlich, als wir in einem Cafe eine Suppe zu Mittag essen wollen, kostete diese der Karte die wir gereicht bekamen, vier Euro mehr als im Aushang. Vom Nebentisch holten wir uns eine Tageskarte. Wolfgang fragte nach dem Unterschied. Es gab keinen, wir bekamen den niedrigeren Preis.
In Mailand hatten wir ein volles Programm: Pressegespräch mit einer katholischen Wochenzeitung, Vortrag auf einer Veranstaltung einer Gruppe, die Unterschriften für ein Referendum für regenerative Energien und gegen Atomenergie sammelt und einen Empfang in der internationalen Abteilung der Provinz.
Mit dem Zug fuhren wir dann über die Alpen nach Straßburg. Von dort radelten wir nach Offenburg. In dem Nieselregen hustete Brigitte so stark, dass wir beschlossen den Plan, das Mayors for Peace Büro in Belgien und den dortigen Atomwaffenstandort zu besuchen, aufgaben.
Im Hotel bekam Brigitte in der Nacht heftigen Schüttelfrost, der nicht aufhörte. Wir holten den Notarzt. Sie hatte 41 Grad Fieber. Er wies sie ins Krankenhaus ein. Dort wurde eine leichte Lungenentzündung festgestellt. Sie konnte am nächsten Tag entlassen werden, aber das Ende unserer Radtour war damit besiegelt. Sie muss sich zu Hause auskurieren.
130 Tage waren wir unterwegs, 3300 km sind wir mit dem Tandem gefahren und 5750 Kilometer mit Bus, Bahn und Schiff. Unseren Traum, bis nach Teheran zu radeln, haben wir nicht verwirklicht, aber sind dennoch voll von den vielen wunderschönen Erlebnissen, interessanten Begegnungen und guten politischen Gesprächen heimgekehrt.