Notfallversorgung langfristig in Gefahr: Stauferklinikum und Landkreis warnen

Schwäbisch Gmünd

Rems-Zeitung

Dem Mann geht’s gut. Sein Puls piepst ruhig und gleichmäßig. Er tut nur so, als habe ihm ein Motorradunfall das Innenleben zerdrückt. An seinem Beispiel lässt sich freilich zeigen, was das Klinikum möglich macht, um im Notfall Leben zu retten, und vor allem, woran das Krankenhauswesen krankt.Die RZ blickte in den Schockraum des Stauferklinikums.

Dienstag, 08. Juli 2014
Rems-Zeitung, Redaktion
273 Sekunden Lesedauer


Von Birgit Trinkle
MUTLANGEN. Keiner grinst. Sie alle haben’s zu oft im Ernstfall durchexerziert, um es jetzt auf die leichte Schulter zu nehmen; das Anliegen, das sie haben, reizt ebenso wenig zum Lachen. Notärztin Dr. Tanja Feßler hat bereits im Krankenwagen das „Rote Telefon“ angewählt: Traumapatient auf dem Weg, einer, der schwere oder schwerste Verletzungen aufweist. Der Empfang am Klinikum durch Krankenhausleitung und Landkreischef ist sicher nicht alltäglich, aber ansonsten ist alles hundertfach erprobt. Der Transport hoch zum Schockraum. Die Übergabe, in der die hektische Betriebsamkeit für einen Moment wie eingefroren wirkt: Alle hören zu, als Feßler berichtet. Diese Informationen sind im Ernstfall lebenswichtig. In diesem einen Fall ist das vermeintliche Unfallopfer der kerngesunde Martin Leidig aus dem Finanzwesen der Klinik, aber auf dem „Spineboard“ wird er wie eine filigrane Glasskulptur vorsichtig angehoben, was möglichen Wirbelsäulenverletzungen geschuldet ist: Das wird immer so gemacht.
Jetzt übernimmt ein anderer. Ein „Traumaleader“ ist der, der die Verantwortung trägt. Welcher Verletzte wird zuerst behandelt, was geschieht als nächstes: Andreas Plott entscheidet. Nicht aus dem Bauch heraus. „Was zuerst umbringt, wird zuerst behandelt“, ist alles bestimmende Grundregel des Konzepts „Advanced Trauma Life Support (ATLS)“, die sich am ABC entlanghangelt. Hand– oder Fußverletzung etwa sind zunächst rein gar nicht interessant. Airway und Breathing stehen an erster Stelle. Wenn der Patient nicht atmet, nutzt alles andere nichts – Beatmung oder eine Thoraxdrainage bei kollabierender Lunge haben Priorität, sind in diesem Fall aber nicht gefragt. C wie Circulation meint den Blutkreislauf: Verbluten ist auch nicht gut. Der Facharzt für Allgemeine Chirurgie Dr. Gabor Meszaros stellt über Ultraschall „freie Flüssigkeit“ im Bauchraum fest. Das ist genauso unangenehm, wie es sich anhört: Aller Wahrscheinlichkeit nach blutet der Patient nach einer Milzverletzung oder ähnlichem in den Bauchraum. Das muss sofort behandelt werden: Nächste Station ist die Traumaspirale der Computertomographie. Ganz nebenbei wurde eine Oberschenkelfraktur vermutet und mit einer Vakuumschiene stabilisiert – unter Umständen kann das bei einer OP gleich mitbehoben werden, steht aber nicht im Vordergrund. Wieder übernehmen andere. Das Ganze hat neun Minuten gedauert und ein halbes Dutzend Spezialisten gebunden – Schwester Julia, Bauchchirurg Joachim Jahn, Oliver Betz und Hartmut Kurz aus der Anästhesiologie, Chirurg Andreas Balogh und Ronny Miehe.
Warum die Notfallversorgung
im Ostalbkreis Thema ist
„Über einen langen Zeitraum unterfinanziert“, brachte Landrat Pavel die mit dieser Notfallversorgung verbundene Misere gestern aus Sicht des Krankenhausträgers auf den Punkt – der theoretisch nur für die Investitionen zuständig ist, nicht für den Betrieb. Defizite in Millionenhöhe über Jahre hinweg ließen keine andere Möglichkeit, als die Politik „entschieden aufzufordern, endlich für eine ausreichende Finanzierung zu sorgen“. Gerade das Beispiel Notfallversorgung macht deutlich, was Landkreis und Klinikum gleichermaßen „richtig große Sorgen“ macht. Die Bilanz der vergangenen Wochenenden – mal nicht in geretteten Leben, sondern in Euro und Cent gerechnet – ergeben jeweils Kosten von 8000 bis 10 000 Euro. Allein fürs Stauferklinikum ergeben sich so jährliche Kosten in Höhe von 400 000 Euro, die nicht refinanziert werden. Etwa dieselbe Summe fällt in Aalen an; mit der Ellwanger Virngrundklinik als Dritter im Krankenhausbund ist die Million erreicht – allein dafür, dass zwischen Freitagmittag und Montagmorgen jeder und jede ohne Ansehen der Person und des Versicherungskärtchens die bestmögliche Versorgung erhält. Ein Gut, dessen Bedeutung nur ermessen kann, wer es im Ausland anders erlebt hat.
Allein, es bleiben Millionenkosten. „In dieser Größenordnung zubuttern können wir nicht auf Dauer“, sagt der Landrat und fürchtet „Veränderungen im Leistungsspektrum“ — das hohe Gut ist in Gefahr. Kreis und Krankenhaus kommen alleine dafür auf, dass Teams wie das von Andreas Plott in diesen Schockraum eilen, immer und immer wieder. Niemand wird abgewiesen: Nicht mit einem Kreislaufzusammenbruch nach dem Biergartenbesuch – der gut und gerne in einen Schlaganfall münden kann, und noch nicht mal mit dem Schnitt im Finger. Rund um die Uhr wird geholfen. Selbstverständlich. „Dann aber sollten wir nicht noch Geld mitbringen müssen.“
Kann ein „Notfallpatient“ nach der Kreislaufschwäche wieder nach Hause gehen, kostet er die Klinik richtig Geld. Traumaleader Andreas Plott, eigentlich Leitender Oberarzt am Zentrum für Traumatologie und Orthopädische Chirurgie, kann in der Zeit, in der er sich um den Notfall kümmert, nicht operieren. Oliver Betz, Oberarzt in der Abteilung für Anästhesie, muss Schmerzpatienten warten lassen, und auch alle anderen hätten mehr als genug zu tun. Keiner und keine aber stellt sich die Frage, ob der Aufwand gerechtfertigt ist. Es ist selbstverständlich, entspricht ihrem Selbstverständnis, im Schockraum um das Leben von Notfallpatienten zu kämpfen. Chefarzt Dr. Manfred Wiedemann spricht von fehlender Wertschätzung und stellt sich – wie alle an der Notfallversorgung Beteiligten bis hin zum DRK-​Chef Bruno Bieser – „in großer Sorge“ die Frage, wie sich das so wichtige Gut der Notfallversorgung in die Zukunft retten lässt. Bieser etwa rätselt mit Blick auf die allenthalben betonte Bedeutung wohnortnaher Versorgung, warum standortnahe Klinikversorgung kein Thema sei. Krankenhausdirektor Walter Hees bringt es auf den Punkt: „Wenn die Krankenhäuser in die Knie gehen, müssen wir von den Standards runter, spätestens wenn wir die Ärzte nicht mehr kriegen oder in der Form nicht mehr bezahlen können.“ Wenn die Notfallversorgung gewollt ist, muss sie bezahlt werden. So einfach ist das.

Hintergrund:
Der dringende Warnruf des Stauferklinikums kann im bundesweiten Kontext gesehen werden. „Wann immer das Leben uns braucht” ist eine aktuelle Initiative der Krankenhäuser mit dem Ziel ist, die Leistungsfähigkeit zu sichern.
Schirmherr in Baden-​Württemberg ist Ministerpräsident Winfried Kretschmann, was zeigt, dass die Finanzierungsmisere nun tatsächlich wahrgenommen wird. Auch wenn das Land selbst ebenfalls in der Verantwortung steht.
Krankenhausdirektor Walter Hees macht deutlich: „Über die Hälfte der Krankenhäuser schreibt rote Zahlen. Es gibt ein strukturelles Problem, das nicht mit der Unfähigkeit einzelner Krankenhausdirektoren zu erklären ist.“
Die gewährte Strukturausgleichsfinanzierung – eine Zusatzfinanzierung aufgrund der seit längerem bestehenden drängenden Probleme, die ohnehin nur als „Tropfen auf den heißen Stein“ gehandelt wird – endet zum Jahresende. Was danach kommt, scheint derzeit niemand zu wissen. Das heißt auch, dass sich die Stauferklinik, mit 1200 Beschäftigten zweitgrößter Arbeitgeber im Gmünd, nicht abgesichert weiß.
Symptomatisch für vieles, was im Argen liegt, ist der Notfallbereich: Die Sorgfalt der Vorhaltung, der gesamte Aufwand der ersten Diagnostik ist nicht refinanziert, ebenso wenig der Bereich der Aus– und Weiterbildung in der Notfallversorgung, dem die Klinik die ATLS-​Zertifizierung verdankt – Bestätigung qualifizierter Erstversorgung Schwerverletzter im Schockraum –, die pro Kurs aber Zeit und rund 2000 Euro kostet.