Hut-​Träger mit Doktortitel und Mission: Cesar Tixilema und Gerhard Kuntz waren zu Gast in der RZ-​Redaktion

Ostalb

Rems-Zeitung

Cesar Tixilema ist kein großer Mann und ganz bestimmt Köpfe kleiner als sein Lorcher Freund Gerhard Kuntz. Aber, wer das Vergnügen hat, den 58-​Jährigen kennenzulernen, der sich einst als erster im Volk der Quichua einen Doktortitel erarbeitet hat und mittlerweile eine Institution ist in seiner Heimat, wird ihn nicht vergessen. Größe ist nicht nur in Zentimetern zu messen.

Dienstag, 01. November 2011
Rems-Zeitung, Redaktion
189 Sekunden Lesedauer


LORCH (bt). Tixilema, von Haus aus Tierarzt, hat bereits als ganz junger Mann erkannt, dass die „Ureinwohner“ Ecuadors zwar die Mehrheit stellen, aber so gut wie keine Einflussmöglichkeiten haben, keine Bildung, kein funktionierendes Gesundheitssystem, keine Teilhabe, wie sie andernorts selbstverständlich ist. Sie sind die verachteten, belachten „Hut-​Träger“. Die Unwissenden, Machtlosen, die sich so leicht übervorteilen lassen.
Dank eines Stipendiums konnte er andere Wege gehen. Bereits in jungen Jahren hat er eine Jugendbewegung mitbegründet, die etwas anderes wollte, etwas Besseres; Weiße und Indianer brachen damals gemeinsam auf. Dieser Weg sollte mühsamer werden, als gedacht, aber Cesar Tixilema ist immer noch unterwegs. Er ist angetreten, für Straßen und Brücken zu kämpfen, für Aufforstungsprojekte, ärztliche Versorgung, generell für die Rechte der Indianer. Größtes Anliegen war und ist ihm die Bildung. Maximal zwei Kinder bleiben den Familien, alle anderen finden im Hochland der Anden kein Auskommen; wenn sie denn aber in der Fremde ihr Glück suchen müssen, haben sie nur eine Chance, wenn sie einigermaßen ausgebildet sind.
Cesar Tixilema kommt aus dem Dorf Llangahua, was „Ort mit gutem Wasser“ bedeutet. Die einzelnen Wohnplätze sind weit voneinander entfernt auf 3500 bis 5500 Meter Höhe; der Hausberg ist der Chimborazo, ein inaktiver Vulkan, der mit 6300 Meter höchster Berg Ecuadors ist. Es ist über 20 Jahre her, dass Tixilema von einem Projekt auf der anderen Seite der Bergkette hörte, das den Bauern die Gelegenheit gab, ihre Milch gewinnbringend zu vermarkten. Sein Volk war damals auf Zwischenhändler angewiesen, die praktisch den gesamten Gewinn einstrichen; versuchten sie selbst, ihre Milch ins Tal zu bringen, in den eineinhalb Autostunden entfernten Ort Ambato, war sie mit einiger Wahrscheinlichkeit sauer, bis sie ankam. Jenseits der Berge stieß Cesar Tixilema dann auf Salinas, eine ebenfalls verarmten Bergregion in Zentralecuador, in der mit Hilfe eines Experten aus der Schweiz und eines engagierten Pfarrers Käse produziert und der Bevölkerung nachhaltig geholfen werden konnte. Es gelang ihm schließlich eine eigene, sehr erfolgreiche kleine „Käserei“ aufzubauen — die wirklich so heißt. Es gab schließlich keine Tradition und kein Wort für die Neuerung. Tixilema ist hat gelernt zu wirtschaften und zu verhandeln. Beides mit Erfolg; mittlerweile besitzt seine Gemeinde, deren Bürgermeister er längst ist, einen eigenen Tankwagen, der zusätzlich zur Käseproduktion Absatzmärkte für die Milch erschließt. Mit der Zeit ist eine Genossenschaft entstanden, die den Profitlern in der gesamten Region die Dumpingpreise verdorben hat.
Über 90 Familien leben heute von ihren Dank Tixilemas Zuchtprogramm entscheidend verbesserten Milchviehbetrieben; sie geben pro Tag rund 500 Liter Milch ab; weitere hundert Familien nutzen die anderen Möglichkeiten der Käserei: Hier beziehen sie Gasflaschen und Medikamente für ihre Tiere, hier können sie sich ein Auto ausleihen, um in Ambato einen Arzt aufzusuchen. Ebenfalls entstanden ist ein Gästehaus, in dem jeweils drei bis fünf junge Leute leben, meistens Frauen, die sich in der Regel im Rahmen eines freiwilligen sozialen Jahres für ein neunmonatiges Praktikum in den Anden entschieden haben. Eine Abiturientin, so die Erfahrung der vergangenen Jahre, ist um Klassen besser ausgebildet als jeder Lehrer im Hochland – und entsprechend ist sie willkommen.
Über „Brot für die Welt“ lernte Cesar Tixilema Gerhard Kuntz aus Lorch kennen, hat vor einigen Jahren auch zwei Monate in Lorch gelebt, um von dort aus von den Problemen der Indianer zu erzählen und ideelle und materielle Unterstützung zu suchen. Dieser Tage war er nach einem Kongress im Elsass wieder in Lorch, und die RZ nutzte die Möglichkeit, mit ihm zu sprechen.
Cesar Tixilema, der auch in der Provinzverwaltung eine führende Position einnimmt, hat keine Familie als seine Gemeinde. Viele seiner Landsleute können nicht lesen und nicht schreiben, für sie ist es selbstverständlich, rund um die Uhr beim Doktor Hilfe zu suchen, der dann ebenso selbstverständlich für sie da ist. Er stellt beispielsweise Anträge auf Familienhilfe, und er ist der Ansprechpartner für Straßenbauprojekte schlechthin. In Lorch hat er erfahren, dass der Motor des Tanklastzuges den Geist aufgegeben hat: Am Montag ist er zurückgeflogen in seine Heimat, um sich der Sache anzunehmen. Noch ist er ein Einzelkämpfer. Aber die nächste Generation soll es besser haben. Soll lernen dürfen, auch lernen, für ihre Rechte einzustehen. Dafür lebt er.

Wer Interesse an einem Praktikum in den Anden hat, kann sich bei „Brot für die Welt“, melden, Tel. 0711 21590.