Als die Pest aus Richtung Aalen kam. Adolf Regens Pfeifenfragmentsammlung/​Ein kleines, schwarzes Stück gebrannter Ton erzählt aus dem 30-​Jährigen Krie

Ostalb

Rems-Zeitung

Adolf Regen ist ein vielseitig interessierter, belesener Mann. Der Salvator-​Freundeskreis lässt ihn Kunstwerke beurteilen, und im Gmünder Raum hat er sich als Steinzeit-​Kenner einen Namen gemacht. Was die wenigsten wissen: Er sammelt auch Tonpfeifenfragmente des 30-​jährigen Krieges.Herzstück der Sammlung ist Teil der Pfeife eines Pestarztes.

Mittwoch, 07. September 2011
Rems-Zeitung, Redaktion
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WALDSTETTEN (bt). Der Hobby-​Archäologe kennt sich aus mit den Epochen der Steinzeit, weiß, wo er nach Artefakten suchen muss. So verfügt er über eine bemerkenswerte Sammlung von Steinwerkzeugen, die der Altsteinzeit – 40 000 bis 130 000 v. Chr. – und wohl dem Neandertaler zugeschrieben werden können. Insbesondere die Gegend zwischen Waldstetter Bach und Bettringer Bach war nach Ansicht Adolf Regens lebensnotwendiges Durchzugslager und Jagdgebiet der Urmenschen, die hier auch auf Feuersteinvorkommen zurückgreifen konnten. Das hat insofern mit der Pest und pfeiferauchenden Landsknechten zu tun, als Regen weiß, wie er dem Boden seine seit uralter Zeit versteckten Schätze abtrotzt. Und er hatte das Glück, bei Ausgrabungen für seine Altsteinzeit-​Ausstellung im Flurstück Schlatt „Begleitfunde“ zu machen, sprich, er stieß auf Pfeifen-​Reste, die sein Interesse weckten und ihn auf das Thema Pest brachten. Träger des Pesterregers, das ist zumindest der Stand der Forschung, waren vor allem die in den Steppen Innerasiens lebenden Steppenmurmeltiere, deren Felle sehr begehrt waren. Mit diesen Fellen zog die Pest zunächst ostwärts, dann kam sie im Herbst 1347 an Bord mindestens einer Galeere nach Italien und breitete sich von dort aus, mal rasend schnell, dann wieder eigentümlich verzögert. Einige Gebiete wurden zunächst ganz verschont, aber unterm Strich lässt sich sagen, dass die Pest in Europa über 300 Jahre lang wütete. Deutschland erwischte es so richtig schlimm im 17. Jahrhundert. Die Ausmaße dieser Tragödie sind kaum vorstellbar Nichts hat das Land wohl jemals so entsetzlich entvölkert und verwüstet, wie der Dreißigjährige Krieg – die Ausmaße dieser Tragödie sind kaum vorstellbar, und Historiker sind sich einig, dass nur ein kleiner Teil der Opfer durch direkte Kriegshandlungen umkam. Die weitaus meisten starben an Seuchen. Nach 1633 wütete die Pest wie nie zuvor, vor allem dort, wo fremde Heere einfielen. Bei der Schlacht von Nördlingen siegten im September 1634 erstmals kaiserlich-​habsburgische Truppen über die Schweden und ihre protestantischen Verbündeten. Die Schlacht selbst war furchtbar, aber kein Vergleich zu dem, was danach kam. Tausende starben am Hunger und an Krankheit. „Pest, Cholera, von Aalen ra“, ist keinesfalls nur eine Erinnerung an die Zeit, in der sich die beiden Städte nicht ausstehen konnten: Nach der Schlacht bei Nördlichen überrollten Pest und Hungersnot vom Härtsfeld her kommend die ganze Gegend. Der „schwarze Tod“ hielt furchtbare Ernte. Mit dem verstorbenen Theo Zanek war Adolf Regen oft und lange im Ries unterwegs und fand dort unter anderem Tonpfeifenfragmente, deren Geschichte er sich in den Jahren, die kamen, erarbeitete. Die aus weißem Ton geformten unverzierten Pfeifen waren wohl Massenware; sie wurden im Schweißband getragen und waren so lang, dass immer wieder ein Stück abgebrochen werden konnte, wenn das Mundstück verstopft war. Dann gab es noch die reich geschmückten Exemplare, deren Dekor an zeitgenössische Goldschmiedearbeiten erinnert und die sicherlich in wohlhabendere Haushalte gehörten. Auf eine weitere Kategorie stießen Adolf und Christa Regen auf der Insel Rügen, als sie sich eigentlich eine Caspar– David-​Friedrich-​Ausstellung ansehen wollten und dann in einer Sonderausstellung im Kulturhistorischen Museum Stralsund auf die spezielle, schwarze und doppelt gebrannte Pfeife eines Pestarztes stießen und erkannten, dass ein solches Fundstück auch Teil der eigenen Sammlung war. Sicher ist, dass nicht wenige Pestärzte zu jener Zeit Pfeife rauchten, um die Luft zu reinigen – wohl auch, um dem Gestank beizukommen. „Sobald mir die Ausdünstungen der Kranken unerträglich wurde, ließ ich augenblicklich alles liegen und rauchte Tabak. Der Tabak ist das wirksamste Mittel gegen die Pest, doch muss das Blatt von guter Beschaffenheit sein“, hat ein holländischer Pestarzt notiert, der auch später immer wieder auf die „stärkende und Gesundheit fördernde“ Wirkung des Tabakrauchens einging. In diesen Jahren galt der Tabak in der Tat vielen als heilsam, und die Theorie, wer Tabak rauche, laufe weniger Gefahr, krank zu werden, verbreitete sich schneller noch als die Seuche. Adolf Regens Pestpfeifenstück stammt vermutlich aus dem Jahr 1648 und wurde in Waldstetten gefunden. Es zeigt Bissspuren, die auf eine extreme Situation schließen lassen, auf Krankheit, Verletzung, Tod. Auf eine Geschichte, die wohl unerzählt bleiben wird, die aber deutlich macht, warum die Vergangenheit für alle, die Verstand und Phantasie zu verbinden wissen, so faszinierend ist.