Juraprofessor Dr. Brenner sprach in Heubach über hohe Instanzen der Rechtsprechung

Ostalb

Rems-Zeitung

Schwarzer Anzug und eine goldene Uhr. Die Brille mit schwarzer Fassung in der rechten Hand und ein ernster Blick in das Publikum — ein waschechter Juraprofessor in der Aula des Rosenstein-​Gymnasiums.

Dienstag, 22. Mai 2012
Rems-Zeitung, Redaktion
155 Sekunden Lesedauer


Von Kristina Tischler
HEUBACH. Im Rahmen des Schulvereins SaRose hielt Prof. Dr. Brenner einen Vortrag über das Bundesverfassungsgericht, den Europäischen Gerichtshof und den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Prof. Dr. Michael Brenner, der schon seit 1995 den Lehrstuhl für Deutsches und Europäisches Verfassungsrecht an der Friedrich-​Schiller-​Universität im Thüringer Jena besetzt, sprach über Europa im „Gerichtsdschungel, über das undurchdringliche Dickicht der europäischen Gerichtsinstanzen.“
2004 sollte die Europäische Verfassung verwirklicht werden. Weil es nicht dazu kam, unterzeichneten die Mitgliedstaaten der Europäischen Union den Vertrag von Lissabon. Er beleuchtete die juristische Perspektive des Unionsrechts. Laut Brenner sind zwei Kategorien für dessen Erfolg und seine Integration in das mitgliedstaatliche Recht erforderlich. Zum einen bedarf es der Grundfreiheiten als Mechanismen des Binnenmarktes; Europa soll nämlich von kleinstaatlichen Fesseln befreit werden, so dass ein freier Warenverkehr gewährleistet ist. Zum andern sichern die europäischen Grundrechte, maßgeblich vom Europäischen Gerichtshof ausgeformt, die Wirksamkeit des Unionsrecht. Und genau hier kann der Konflikt zwischen Bundesverfassungsgericht und dem Europäischen Gerichtshof entstehen. „27 nationale Verfassungsgerichte könnten nicht entscheiden. Die Europäische Integration wäre am Ende,“ sagt Professor Brenner mit gesenkter Stimme, der auch als Sachverständiger und Gutachter aktive Professor. „Nationales Recht muss hinter das Unionsrecht zurücktreten und wenn es dagegen verstößt, so gilt das Unionsrecht. Dieser sog. Anwendungsvorrang des Unionsrechts darf nicht in Frage gestellt werden.“
Er veranschaulicht das kompliziert klingende Gedankenmodell mit einem simplen Beispiel. Seit 1516 gibt es das Reinheitsgebot für die Bierherstellung, nach welchem alle deutschen Biere, zum Schutz der deutschen Biertrinker, gebraut werden. Kann man Biere, die nicht danach gebraut wurden, vom deutschen Markt ausschließen? Das Unionsrecht verbietet derartige Marktverdrängungsmechanismen. Und so ist zwischenzeitlich eben auch Heineken auf Deutschlands Märkten zu finden. Er blickt auf das Rednerpult und führt weitere Beispiele auf.
Die Kosmetikmarke „Clinique“ musste in Deutschland zunächst wegen irreführender Assoziation den Namen „Linique“ tragen, kann aber mittlerweile aber unter ihrem eigentlichen Namen in Deutschland verkauft werden. Reihenweise verdutzte Gesichter der Heubacher Gymnasiasten.
Sie warteten gespannt auf das nächste Beispiel: Jetzt geht es um den Streit über die vorgeschriebene Breite von Traktorsitzen. Dann um deutsche Eiernudeln und italienischen Hartweizengries. Weil alle Institutionen voneinander abhängig sind und nur gemeinsam funktionieren, verweist der erfahrene Jurist auf die Wichtigkeit von Integration. „Integration kann nur erfolgen…“ Er bricht seinen Satz ab und beginnt imaginäre Kreise in die Luft zu zeichnen: „Man muss es sich wie einen Kuchen vorstellen.
Von unserem deutschen Gerichtskuchen wird die Verantwortung also in einem überschaubaren Bereich abgegeben und nach Brüssel transportiert. Das Bundesverfassungsgericht überprüft dann, ob die europäischen Gesetze sich innerhalb dieses Kuchenstückchens bewegen oder hieraus ausbrechen. Sprengt ein Rechtsakt der Europäischen Union die Grenzen dieses Stückchens — und ist damit von der Übertragung deutscher staatlicher Hoheitsgewalt auf die EU nicht mehr gedeckt -, so kann dies zu einem Konflikt mit dem Europäischen Gerichtshof führen, und zwar deshalb, weil der Gerichtshof für sich in Anspruch nimmt, zu prüfen, ob sich ein Rechtsakt innerhalb der Grenzen des Unionsrechts hält. Und dann ist der Konflikt zwischen Bundesverfassungsgericht und Europäischem Gerichtshof da.“
Brenner hält still und schaut fragend in die Menge. Bisher habe das Bundesverfassungsgericht dem Europäischen Gerichtshof aber noch nie eine Frage vorgelegt, noch nie seinen Anspruch relativieren müssen und um Rechtsauskunft nachgefragt. „Die nationale Identität muss also nicht auf dem Altar der Europäisierung verschwinden“, versucht er mit großzügigen Handbewegungen zu verdeutlichen, „Wenn man aber nur durch die Brille des nationalen Rechts blickt, verliert man das große Ganze aus den Augen.“ Und daher ist, so Brenner, die sich in einem Mehr-​Ebenen-​System vollziehende Europäisierung und deren Verwirklichung mit Hilfe des Unionsrechts trotz aller, im Einzelfall auch berechtigter Kritik, eine Erfolgsgeschichte.