Reliquienzug nach Gmünd: Bewegende Veranstaltung im ehemaligen Stauferkloster in Lorch

Ostalb

Rems-Zeitung

Mönchsgesänge in lateinischer Sprache, Fanfaren, Fahnenträger und Ritter im Zeichen des Kreuzes — der Beginn des Reliquienzugs von Lorch nach Gmünd sorgte bei manchem Besucher dieser Veranstaltung in der Klosterkirche für ein Gänsehaut-​Gefühl. Dazu trug auch der Vergleich des Mittelalter mit der Gegenwart aus der Perspektive der Theologie wesentlich bei.

Sonntag, 01. Juli 2012
Rems-Zeitung, Redaktion
173 Sekunden Lesedauer


Von Gerold Bauer
LORCH. In Erinnerung an den Transport der Heilig-​Kreuz-​Reliquien vom Lorcher Kloster nach Schwäbisch Gmünd wird dieses Ereignis in einem Reliquienzug nachempfunden. Der Auftakt dazu war gestern in Lorch — empfangen wird der Zug am nächsten Sonntag, 8. Juli, im Rahmen des großen Staufer-​Wochenendes. Die Aufstellung im Freien musste aufgrund des Regens in den Kreuzgang verlegt werden, doch dies tat der ergreifenden Wirkung keinen Abbruch.
Der Geistliche der katholischen Seelsorgeeinheit, Pfarrer Marc Grießer, ging zunächst auf die grundsätzliche Bedeutung von Reliquien ein und sprach dabei auch die Diskussion um die Echtheit von Reliquien — zum Beispiel Knochenteilen von Heiligen oder Splitter von jenem hölzernen Kreuz, an dem Jesus Christus den Tod auf sich nahm, um die Menschen zu erlösen. Man könne nun auf pedantische Weise darauf bestehen, dass alle Splitter des Heiligen Kreuzes, die weltweit als Reliquien verehrt werden, zusammengezählt einen ganzen Wald voller Kreuze ergeben würden. Doch darum, so Grießer, gehe es überhaupt nicht. Entscheidend sei nicht die Echtheit im materiellen Sinnen, sondern die Frage, ob diese im theologischen Sinne wahr sind. „Wenn Reliquien uns etwa Wahres von Gott sagen, dann sind die wahr und wertvoll“, betonte der Lorcher Pfarrer.
Das Mittelalter löse heute weithin großes Interesse aus, sagte Pfarrer Marc Grießer – zum Beispiel auf Mittelaltermärkten und bei mittelalterlichen Spiele. Besonders günstig ist es laut Grießer, wenn man über eine so schöne mittelalterliche Anlage verfügt wie die Klosterkirche in Lorch. Allerdings bedauerte der katholische Geistliche, dass bei den meisten Veranstaltungen ein Aspekt übersehen oder ausgeklammert werde, der das Mittelalter nachhaltig prägte: der christliche Glaube. Der klar definierte Glaube an Gott gehörte in selbstverständlicher Weise zum Alltag, während in der heutigen Zeit die Vorstellungen von Gott sehr individuell interpretiert werden. „Bedeutet dies einen Fortschritt hin zu mehr Offenheit und Freiheit. Oder ist es doch eher die Auflösung des Gottesglaubens – vergleichbar einem alten Gemälde, das durch zu viel Licht ausgebleicht oder das durch Feuchtigkeit beschädigt ist, so dass man die Konturen nicht mehr genau erkennen kann?“, stellte Grießer in den Raum.
Das Denken des Mittelalters habe das Stoßen des Menschen an seine eigenen Grenzen als Hinweis auf den Größeren, der den Menschen übersteigt, als Hinweis auf Gott verstanden. Heute neige man eher dazu, solche Erfahrungen anders zu erklären. „Aber wer ist dieser Größere, dieser Gott? Was wohl manche am Mittelalter stört, ist die scheinbare Klarheit und Abgeschlossenheit des Gottesbildes. Ich sage scheinbar in Anführungszeichen, weil das so nicht stimmt. Denker wie Thomas von Aquin oder Nikolaus von Kues lehrten ausdrücklich, dass Gott unser Begreifen übersteigt.“
Wenn das Christentum Gott als Person verstehe, sei damit nicht der alte Mann mit dem weißen Bart gemeint, sondern Gott als ein Gegenüber mit Willen und einem Bewusstsein. Die Vorstellung von Gott als unpersönliche Kraft will Gott dem Zugriff des Menschen entziehen und liefert ihn so diesem Zugriff aus. Denn wenn Gott etwas ist und nicht jemand, dann steht er unter dem Menschen, erläuterte Pfarrer Grießer. Was kein Bewusstsein von sich selbst habe, könne nämlich grundsätzlich beherrscht werden – so wie die Pflanzen und die Tiere.
Niemand, der heute lebe, wolle wohl ernsthaft im Mittelalter leben, zeigte sich der Lorcher Pfarrer überzeugt – und dies nicht nur wegen der fehlenden Bequemlichkeiten. Dennoch habe diese Zeit uns auch heute etwas zu sagen. „Wir sollten nicht so arrogant sein, zu denken, Menschen früherer Zeiten waren grundsätzlich dümmer als wir. Wir Menschen tragen die Sehnsucht nach dem Größeren in uns, eine Sehnsucht, die diese Welt nicht erfüllen kann. Wir brauchen die Werte, die nicht einfach vom aktuellen Geschmack abhängig sind. Das verweist uns auf Gott.“
Nach der Predigt sangen wieder die Mönche und leiteten über zur Heiligen Kommunion. Mit einem weiteren Lied, einem Gebet und der Segensspendung verließen die gewandeten Teilnehmer des Gottesdienstes die Klosterkirche als Prozession gemeinsam mit dem Pfarrer — gefolgt von über 100 Gläubigen, unter denen sich auch der Gmünder Oberbürgermeister Richard Arnold befand.