Seit 120 Jahren Freitagsmarkt in Lorch: Das Marktrecht gibt es in der Klosterstadt aber bereits seit 1571

Ostalb

Rems-Zeitung

Vor Kurzem feierte der Lorcher Wochenmarkt sein 120-​jähriges Bestehen. Über das Lorcher Marktwesen hat Stadtarchivpfleger Simon M. Haag M.A. im Bürgerhaus einen Vortrag gehalten und ist dabei auch auf den Markt in der heutigen Form näher eingegangen.

Freitag, 12. August 2011
Rems-Zeitung, Redaktion
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LORCH (smh). Das Marktrecht hat die Stadt Lorch seit weit über 400 Jahren. Wie man aus dem 1571 angelegten Lagerbuch des Klosters Lorch erfährt, besaß das Dorf seit „unvorstellbarer Zeit“ die Berechtigung, Märkte abzuhalten. Klosteramtsschreiber Jakob Friedrich Brack verdeutlichte 1724 dieses alte Recht in seiner Ausarbeitung des Lorcher Fleckenlagerbuchs unter der Überschrift „Von dem uralt hergebrachten Marcktrecht“.
Am 14. Juni 1813, also vor knapp 200 Jahren, erörterte das Lorcher Gericht — heute würde man vom Gemeinderat sprechen — den Punkt „Die Errichtung eines Wochenmarktes …“
„Von Magistraats wegen glaubte man nun in allwegen das Königliche Oberamt zu ersuchen zu müssen, sich für die Erneuerung des — dem hisigen Ort schon kraft seines Lagerbuchs de 1724 zustaindigen Privilegii, einen Wochenmarkt halten zu dörfen bei der … Behoerde zu verwenden und schlaage deßwegen hiezu die Wochentäge Dienstag und Freitag vor, damit es, falls der eine oder der andere seine zu Markt gebrachte Viktualien nicht verschlöße, einem solchem moeglich wäre, an den darauf folgenden Tägen Mittwoch und Samstag die Wochenmärkte der benachbarten Stadt Gmünd zu benuzen, um sie dort vollends an Mann zu bringen. Um aber die zu errichtende Wochenmaerkte besser in Gang zu bringen, wollte man von Seiten des Magistrats einige Prämien jedoch vor der Hand nur für das erste Jahr der Gestalt aussezen, daß denjenigen 4 Individuen, welche erwisener masen am öftesten mit ihren Waaren den Markt besucht haben, je 2 fl. 1 fl. 30, 1 fl. und 45 xr vom Bürgermeisteramt ausbezahlt werden, als zu welchem Behuf aber von dem aufzustelllenden Marktmeister über alle denselben mit Waaren besuchende Personen ein akkurates Register gefürt werden müßte.“
Auf diese Eingabe hin wurde am 5. Juli 1813 vor dem Gemeindegericht das von der Kammerverwaltung unterm 23. Juni 1813 ausgestellte Dekret über die Genehmigung eines Wochenmarkts verlesen. Das Gerichtsprotokoll bemerkt hierzu: „Von dem K. Oberamt wurde dem Magistrat heute das von der K. hochlöblichen Sektion der Kammer-​Verwaltung unterm 23. Juni des Jahres ergangene … Decret publicirt kraft dessen von gedachter allerhöchster Behörde die gnädigste Genehmigung erteilt wurde, einen Wochenmarkt hier errichten und die .. angezeigte Prämie deßwegen aussezen zu dürfen, wobei zu dessen Abhaltung am Dienstag oder Freitag die Wahl gelassen wurde.
Schon im Jahr 1813 fand der Markt am selben Platz wie heute statt
Unter der Bemerkung, daß dasselbe glaube, es werde am tauglichsten seyn, wenn man den Freitag in jeder Woche dazu wähle, und daß man mit Abhaltung desselben schon am nächsten Freitag den Anfang möchte machen könne, wie es dann deßhalb bereits die Verfügung getroffen habe, daß hievon die Nachbarschaft im Amt als die Angehörige des Oberamts Schorndorf durch Ausschreiben in Kenntnis gesezt werden, nur bleibe noch übrig, das Locale zu bestimmen, wo der Markt jedesmal abgehalten werden solle, und einen Marktmeister aufzustellen, der das Register über diejenige zu führen habe, die mit ihren Sailschaften den Markt besuchen und für Erhaltung der Ordnung auf dem Markt richtiges Gewicht, gute und der Gesamtheit nicht nachtheilige Waaren zu sorgen, jeden Übertreter aber dem Oberamt zur Bestrafung anzuzeigen habe.
Auf diesen Vortrag wurde nach gehaltener Umfrage beschloßen, daß der Herr Gerichtsverwandte Molt, welcher sich freiwillig dazu anerboten, zum Marktmeister aufgestellt und darauf oberamtlich verpflichtet werden, seine Belohung aber erst dann magistratisch regulirt werden sollen, wann man in der Folge sehe, was der Markt für einen Fortgang habe. Übrigens solle der Plaz von der Oberamtei an aufwärts des Orts gegen der Apotheke den Marktleuten zum Aufstellen und Feilhaben ihrer Waaren eingeräumt seyn und deßwegen besonders an den Markttägen frey und rein erhalten werden.“
Der Platz von der Oberamtei gegen die Apotheke hin ist genau derselbe, an welchem, heutzutage der Wochemarkt stattfindet. Wäre dieser 1813 genehmigte Wochenmarkt nicht relativ schnell wieder eingeschlafen und von der folgenden Generation Gemeindeväter vergessen worden, müsste man heute nicht das 120-​jährige Jubiläum, sondern in zwei Jahren das 200-​jährige Wochenmarktjubiläum feiern.
So aber beschloss am 28. April 1891 der Lorcher Gemeinderat die Einrichtung eines freitäglichen Wochenmarkts mit der Begründung.
165 Arbeiter und Kurgäste aus den umliegenden Dörfern als Abnehmer
Die Stadt habe zwar einen eigenen Garten– und Gemüsebau, aber auch zahlreiche Einwohner ohne Selbstversorgungsmöglichkeiten sowie drei Fabriken mit insgesamt ca. 165 Arbeitern und zahlreiche Kurgäste, die als Abnehmer der Produkte aus den umliegenden Dörfern in Frage kämen. Außerdem gäbe es hier ein Kameralamt, ein Forstamt, ein Notariat, eine Bahnhofverwaltung, einen Doktor, einen Apotheker, zwei Lehrerfamilien, etwa 20 Pensionäre und Rentiers und eine größere Anzahl von niederen Bediensteten und Gewerbetreibenden, die keinen Gemüseanbau treiben.
Die Stadtväter geben weiterhin zu bedenken, dass in Lorch „neben dem Bezug an konservierten Fleisch– und Wurstwaaren von auswärts consumiert [wird] nach dem Fleischschauregister jährlich das Fleisch und die Wurstwaaren von 298 Schweinen, 8 Ziegen und Böcken und Schafen, 415 Stücken Rindvieh, zusammen von 721 Stücken Vieh und es erscheint als gesichert, das ein hiesiger Wochenmarkt beschickt wird von den fast rein Landwirtschaft treibenden Orten“ des Umlandes.
Außerdem habe Lorch einen großen Einzugsbereich, der von Höldis, Brend und Pfahlbronn im Norden bis Wäschenbeuren im Süden und von Plüderhausen im Westen bis Großdeinbach und Radel-​stetten im Osten reiche und ohne Lorch über 6332 Einwohner verfüge. Dieser Interessentenkreis könne noch erweitert werden, wenn man den Markttag auf einen von Gmünd, Göppingen und Schorndorf (Dienstag bzw. Mittwoch und Samstag) verschiedenen Tag, also auf den Freitag lege. Als passenden Marktplatz erkoren die Stadtväter wie schon ihre Vorfahren die Lorcher Hauptstraße zwischen Revierhaus (heute Rathaus) und Karlslinde (heute Karlsplatz). Um den Markt zu fördern, verzichtete die Gemeinde auf die Erhebung von Markt– oder Standgeld.
Am 1. Juni genehmigte die Königlich-​württembergische Regierung des Jagstkreises die Durchführung eines freitäglichen Wochenmarkts in Lorch auf die Dauer von sechs Jahren; falle der Wochenmarkt auf einen Feiertag, solle am vorherigen Tag Markt gehalten werden. Markt– oder Standgeld durfte nicht erhoben werden.
Wenige Tage später kündete der „Rems– & Leintalbote“ den ersten Wochenmarkt für den 12. Juni 1891 an; folgende Bestimmungen aus der am 20. Juni publizierten Wochenmarktordnung werden vorne weg abgedruckt:
Sommers über beginnt der Wochenmarkt morgens um 6 Uhr und schließt mittags um 1 Uhr; das Angebot des Wochenmarkts hat sich nach § 66 der Gewerbe-​Ordnung für das Deutsche Reich zu richten: 1. Rohe Naturerzeugnisse mit Ausschluss des größeren Viehs; 2. Fabrikate, deren Erzeugung mit der Land– und Forstwirtschaft, dem Garten– und Obstbau, oder der Fischerei in unmittelbarer Verbindung steht, oder zu der Nebenbeschäftigung der Landleute der Gegend gehört, oder durch Taglöhnerarbeit bewirkt wird. Geistige Getränke sind ausgeschlossen. 3. Frische Lebensmittel aller Art dürfen angeboten werden.
Über den ersten Markttag bemerkt der „Rems– & Leintalbote“: „Der heutige erste Wochenmarkt war von Verkäufern noch ziemlich schwach besucht; dagegen war die Nachfrage von Seiten der Käufer stärker. 1 Pfund Butter kostete 90 Pfennig, Süßrahmbutter 1 Mark 10 Pfennig, Eier per Stück 5 Pfennig, 1 Pfund Kirschen 22 Pfennig.“
Laut der Zeitung war der nächste Wochenmarkt am 19. Juni von Verkäufern und Käufern besser besucht; in der folgenden Zeit verstärkte sich dieser Trend deutlich. Am 20. Juni wird im „Rems– & Leintalboten“ die Wochenmarktordnung publiziert. Da die Genehmigung zur Abhaltung des Wochenmarktes nur auf 6 Jahre befristet gewesen war, beschloss der Gemeinderat 1898 um die Verlängerung der Wochenmarktskonzession nachzusuchen, was von der Kreisregierung auch auf unbestimmte Zeit bewilligt wurde. Doch 1912 erfährt man, dass der Wochenmarkt wegen mangelnder Frequenz seit geraumer Zeit nicht mehr abgehalten worden ist, weshalb er nunmehr wieder versuchsweise installiert werden soll. Besonders wird auf § 5 der Wochenmarktordung von 1891 hingewiesen, die besagt, dass „mit dem Verkauf von Waren … vor der für den Marktbeginn festgesetzten Stunde auf dem Wochenmarkt nicht begonnen [werden darf] und es dürfen außerhalb des Marktplatzes Waren im Umhertragen [also im Hausierhandel] nicht früher als 2 Stunden nach Beginn desselben feilgeboten werden“.
1927 war der Wochenmarkt wiederum und nicht zum letzten Mal ins Koma gefallen. Die Stadt unternahm einen neuen Anlauf im Wochenmarktgeschehen, der dieses Mal auf dem Zollplatz stattfinden sollte.
Am 30. April 1935 wird in der „Remstal-​Post“ die „Ortspolizeiliche Verordnung“ von Lorch publiziert, deren § 18 folgendes bestimmt: „Gegenstände des Wochenmarktverkehrs, insbesondere Erzeugnisse der Landwirtschaft dürfen auf öffentlichen Wegen und Plätzen durch Auswärtige nur Dienstag und Freitag bis 13 Uhr verkauft werden. Von da ab und an anderen Tagen ist dies verboten“.
Aus diesem Passus kann abgeleitet werden, dass inzwischen auch dienstags in Lorch Wochenmarkt gehalten wurde und die beiden Märkte in bester Blüte standen. Doch schon vier Jahre später machte er wieder Sorgen. Am 12. Juni 1939 berichtete Stadtschultheiß Scheufele: „Der Wochenmarkt wird z.Zt. nicht abgehalten, weil noch nicht genügend Erzeugnisse vorhanden sind. Er erstreckt sich nur auf Gemüse, Beeren und Obst, da namentlich Eier und Butter bewirtschaftet werden.“Und so blieb es auch weiterhin, denn im Mai 1941 musste Scheufele der „Wirtschaftskammer Württemberg und Hohenzollern“ auf Nachfrage folgendes mitteilen: „Der Wochenmarkt fand nur im Sommer statt. In den letzten Jahren wurde er nicht abgehalten, weil als Erzeuger nur die hiesigen Gärtner auftraten, die ihre Waren in der Gärtnerei direkt abgegeben. So wird es auch in diesem Sommer bleiben.“
Nach Kriegsende bemühte sich der Gemeinderat 1946 um die erneute Installation des Wochenmarkts. Doch teilte das Kreisernährungsamt Schwäbisch Gmünd lapidar mit, mit einer zügigen Zustimmung sei nicht zu rechnen. Schließlich kam es am 1. Juli 1948 zur Aussprache zwischen den Gemeinderäten, wobei deutlich wird, dass sich „seit der Neuordnung des Geldwesens .… verschiedene Gärtner und Händler an das Bürgermeisteramt gewandt [haben] mit der Bitte, ihre Waren n Lorch verkaufen zu dürfen. Der Bürgermeister macht deshalb den Vorschlag, in Lorch wieder einen Wochenmarkt einzuführen“, worauf der Gemeinderat die Durchführung des Wochenmarkts nach Maßgabe der „Ortspolizeilichen Verordnung“ von 1935 beschloss. Als Marktort wurde wieder der Zollplatz bestimmt.
Einspruch dagegen kam vom Landratsamt Schwäbisch Gmünd insofern, als 1898 nur der freitägliche Wochenmarkt bzw. als Feiertagsersatz seine Abhaltung am Tag davor konzessioniert wurde, und nicht zusätzlich der Dienstag, wie ihn die Verordnung von 1935 vorsieht. Daraufhin beschloss der Gemeinderat am 5. August künftig „auf dem Zollplatz nur noch jeden Freitag Wochenmarkt“ abzuhalten; die „Ortspolizeiliche Verordnung“ von 1935 wurde dementsprechend abgeändert. Mit diesem Rückgriff auf die Marktordnung 1898, die wiederum auf jene von 1891 Bezug nimmt bzw. mit ihr identisch ist, wird die Tradition deutlich, in welcher der heutige freitägliche Wochenmarkt steht und nunmehr sein 120-​jähriges Jubiläum beging.
Seit seiner Wiederbelebung im Jahr 1948 besteht nun der Lorcher Wochenmarkt, wenn auch seine Frequenz mitunter zu wünschen übrig ließ. So beschickten 1949 zwischen 1 und 5 Händlern die einzelnen Markttage. Sie kamen aus Lorch, Schorndorf, Schwäbisch Gmünd und Pflaumloch; 1951 waren 8 Anbieter auf einmal vertreten und zwischen 1952 und 1961 konnte es schon mal vorkommen, dass die kauffreudigen Kunden nur einen Anbieter auf dem Markt antrafen. Dabei muss erwähnt werden, dass die durchschnittliche Anzahl an Marktbeschickern bei vier lag, die aus Lorch, Stuttgart, Eislingen, Schwäbisch Gmünd, ja sogar aus München, Nürnberg und Ulm kamen. Der Platz des Marktens wurde in den 1980er Jahren vom Zollplatz wieder an seinen angestammten Platz, nämlich in die Hauptstraße zwischen Rathaus und Karlsplatz verlegt, wo er sich heute noch befindet. Heute findet man auf dem Lorcher Wochenmarkt wieder rund ein Dutzend Beschicker, drei davon saisonal bedingt nicht immer.