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Alfred Lutz ist ein Phänomen: der Grafiker und Künstler blickt auf eine über 70 Jahre währende Schaffensperiode zurück

Immer auf der Höhe der Zeit zu sein, wer wollte das nicht? Ihr gar noch vorauszueilen, ein Gespür für Kommendes zu haben und dessen geistiger Geburtshelfer zu werden – das ist nur ganz wenigen vergönnt. Der Gmünder Grafiker und Künstler Alfred Lutz ist einer von diesen außergewöhnlichen Menschen. Am heutigen Samstag feiert er seinen 90. Geburtstag. Von Reinhard Wagenblast

Sonntag, 22. November 2009
Rems-Zeitung, Redaktion
2 Minuten 59 Sekunden Lesedauer

KUNST. „Gezeichnet habe ich immer“, sagt Alfred Lutz. Doch das Zeichnen war und ist nur eine von vielen Fähigkeiten, die er an sich ausgebildet und zu schöner Reife gebracht hat. Eine sich über 70 Jahre spannende Schaffensperiode ist sehr selten, noch seltener aber, sie auf dieser Höhe zu halten. Alfred Lutz ist bis heute ein „kreativer Unruheherd“ geblieben. Dafür hat er erst vor zwei Monaten wieder den Beweis angetreten, als der Gmünder Kunstverein seinem früheren Vorsitzenden und Ehrenmitglied eine Ausstellung in der Galerie im Kornhaus ausrichtete. Selbstredend gestaltete sie Alfred Lutz selbst – er konzipierte den ganzen Galerieraum zur Fläche um, er machte ihn zur Apotheose der Grafik und gesellte in einer biographisch gefärbten, ungeheuer dichten und durchkomponierten Videoprojektion noch die zeitliche Tiefendimension bei. Es leuchteten Lebenszauber und eine tiefe Liebe zum Leben daraus hervor, als wollte Alfred Lutz den Betrachtern sagen: Seht, wie wertvoll das Leben ist, wie schön die Welt und ihre Gestaltfülle. Vor allen Dingen: Seht! Diese Ausstellung war ein Geschenk, und so könnte man das ganze Schaffen von Alfred Lutz verstehen: als Geschenk an die Menschen.
Er hatte Erfolg als Künstler und Gebrauchsgraphiker – so hießen Grafikdesigner früher – , als Konzeptioner, als Publizist und Lehrender, der Professor und Prorektor der Gmünder Hochschule für Gestaltung wurde.
Der Sohn eines Lehrers aus Gmünd, in Villingen geboren, studierte in Berlin Gebrauchsgraphik. „Mehr ein Studium generale“, blickt er heute zurück. Dieses Feld beackerten damals meist noch Maler und Künstler nebenher. Ihn faszinierte die neue, klare Schweizer Typographie. 1939 wurde er eingezogen, aus Krieg und zwei Jahren Gefangenschaft in Frankreich kehrte er erst 1947 zurück. „Mit 28 Jahren konnte ich endlich machen, was ich wollte.“ Wie so viele seiner Generation, wollte Alfred Lutz wettmachen, was ihm der Krieg an guten Jahren geraubt hatte – er stürzte sich in die Arbeit und machte sich in Gmünd, wo seine Eltern wieder lebten, gleich selbstständig. Es fand einen wachsenden Markt für Gebrauchsgraphik, wo nur wenige tätig waren, „wir haben uns nicht wehgetan.“ Seinen ersten Auftrag erhielt er von der Gold– und Silberscheideanstalt Walter und Schmitt, später Degussa. Den Durchbruch als Gestalter von Printmedien brachte ihm das berühmt gewordene ERP-​Plakat von 1950, ein deutscher Wettbewerbssieger, „dann kam die Großindustrie, BASF beispielsweise, Zeller und Gmelin, Zeiss und die ZF. Dann auch die Gmünder Edelmetallindustrie und die GEK.“ Freie Hand erhielt er ab 1953 in der Gestaltung der Titelblätter der Gmünder Zeitschrift „Einhorn“, die nächsten 20 Jahre schuf er 120 Titelmotive, für zwei davon erhielt er den Bundespreis Bestes Graphic-​Design Deutschland. Viele davon sind bis heute frisch geblieben, sie sind ein Panoptikum graphischer Mittel und sie transportieren den Zeitgeist, ohne ihm opportunistisch zu huldigen. Es ist immer ein Überschuss an eigener Kreativität und Handschrift in diesen Blättern zu finden, die Gmünder Motive in neuem Licht zeigen.
Über Walter Lochmüller kam er 1955 mit einem Lehrauftrag an die Staatliche Höhere Fachschule. Er hatte keine pädagogische Ausbildung, dass Unterrichten eine komplexe Sache ist, wusste er sozusagen von Haus aus – „aber es hat wunderbar funktioniert.“ Vielleicht, weil er immer einen unmittelbaren Zugang zu Menschen fand, weil er auf Offenheit setzte und selbst – bis heute – ein im Gespräch und in der Begegnung Lernender geblieben ist. So eignete er sich noch den Umgang mit dem Computer und der digitalen Bearbeitung an. Ein frühes Werk auf diesem Feld war sein „New York Impulse“-Buch von 1987, das in die erste internationale Ausstellung des Art Directors Club in New York aufgenommen wurde. Seit 1960 Professor, baute Alfred Lutz an der Hochschule für Gestaltung den Studiengang Graphikdesign auf. Über 1000 Studenten bildete er aus, bis er 1984 verabschiedet wurde. Seitdem ist er freischaffend tätig, oft ehrenamtlich. „Ruhestand“, spricht Alfred Lutz, „das geht nicht, und das ist ein Glücksfall.“ Es sei jetzt wie früher im Berufsleben: „Ich habe es mit Leidenschaft gemacht. Es ist mir leicht gefallen und ich habe mich nie plagen müssen.“ Glücklich, wer so schöpferisch ist; glücklich, wem das Überraschende immer wieder neu gelingt.

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