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Nachrichten Ostalb

Milchmädchen-​Rechnungen gabs nie in der Straßdorfer Molke aber äußerst hart arbeitende junge Damen

Der Geruch hat sich festgesetzt: In der verbliebenen Mauer des alten Straßdorfer Milchhäusle und in der Erinnerung der Frauen, die dieses Ladengeschäft einst im Alleingang führten — die geschafft haben wie die Brunnenputzer, diese Zeit in den 50er und 60 Jahren dennoch nicht missen möchten. Von Birgit Trinkle

Montag, 28. Dezember 2009
Rems-Zeitung, Redaktion
2 Minuten 58 Sekunden Lesedauer

GMÜND-​STRASSDORF Das eigentliche Milchlädle, so erinnern sich die Damen, wurde erst nach dem Krieg eröffnet, hinter der heutigen Rechbergapotheke. Maria Torenz, Lina Oberndörfer und Klara Stummer haben ähnliche Erfahrungen gemacht, sie beflügeln sich gegenseitig in ihrer Zeitreise — und schnell ist klar: Über allem stehen die Gerüche. Was nach frischer Milch riecht, nach saurer Milch und nach Extrem-​Reinigungsmitteln — mit denen allein den Resten verschütteter Milch beizukommen war — bringt sie unweigerlich zurück in die Zeit, in der sie für die Straßdorfer Milchbauern arbeiteteten. Natürlich gab’s nicht nur Milch. Sahne wurde ebenso verkauft wie Käse und Joghurt und ebenfalls in Kannen angelieferter Quark, zudem Sauermilch in Glasflaschen und offene Buttermilch. Bezahlt wurde mit runden oder achteckigen Aluminium– oder Kupfermarken, die noch in so manchem Haushalt aufbewahrt werden. So wie sich auch noch Sanella-​Bildchen finden, die’s nebenan beim „Oberen Beck“ der Familie Menrad gab – heute Berroth und Schlecker.
Alle haben sie alleine gearbeitet, und das war nichts für eine, die nicht richtig zupacken konnte. Von morgens sieben bis abends halb acht dauerte ihr Arbeitstag, schließlich musste jeden Abend alles geputzt werden; die zweistündige Mittagspause war meist der Familie gewidmet. Das Verkaufen an sich machte Freude, auch wenn sich manchmal lange Schlangen bildeten. Die Leute waren einfach geduldiger damals, die meisten genossen zudem die Zeit an diesem Dorfmittelpunkt aus vollen Zügen – hier gab es immer Neues zu erfahren. Helga Wanner erzählt von einem jungen Burschen, der so gerne unter der Molke-​Treppe stand und schließlich zugab, dass er dort den Frauen und Mädchen unter die Röcke gucken konnte. Die Straßdorfer Jugend vertrieb sich die Wartezeit mit Fahrradkunststückchen mit und ohne Milchkanne, wie sich Jens Frohne (Bericht unten) von Karin Bathold erzählen ließ, oder mit dem legendären Milchkannenschleudern: Wer das Ding im richtigen Tempo kreisförmig schleudert oder um die eigene Achse dreht, verliert keinen Tropfen, selbst ohne Deckel. Wer den Kniff aber nicht drauf hatte, bekam mächtig Ärger. So manche Beule zeugt bis heute vom nicht immer pfleglichen Umgang mit den Kannen.
Ach, wenn’s nur der Verkauf gewesen wäre, die Arbeit im Milchhäusle wäre ein Traum gewesen, ein Lachen und Erzählen und ein bisschen was zu tun. Hinzu kamen freilich der gesamte Einkauf, das Spülen der Flaschen — die erst im Trog eingeweicht und dann mit dem Pinsel bearbeitet wurden, selten unter hundert Stück pro Waschgang. Einmal im Monat war Inventur angesagt. Die Sahnemaschine musste regelmäßig geputzt werden, ein „Saugschäft“, und zumindest in den ersten Jahren der Kessel fürs warme Wasser beheizt — bei der Erinnerung an verbrühte Beine wird noch heute eine schmerzliche Grimasse gezogen. Alle diese Frauen waren an harte Arbeit bereits gewohnt, als sie im Milchlädle anfingen, alle sagen sie, die langen Tage dort hätten sie an ihre Grenzen gebracht. Denn es gab ja nicht nur die Routine. Hin und wieder kam die Milch aus Straßdorf, Metlangen, Reitprechts oder Maitis sauer an. Oder einer der gefürchteten Milchpantscher hatte zugeschlagen — was die Milch-​Mädels freilich nur in zweiter Linie betraf. Manchmal, wenn ein Gewitter im Anzug war, wurde freilich die Sahne auf dem Weg von Gmünd nach Straßdorf sauer. Selbst wenn man Sahne hasste, tat man gut daran, sehr sorgfältig zu probieren, bevor fünf Liter in die Maschine gefüllt wurden, die, wir sprachen davon, so furchtbar aufwändig zu reinigen war. Fünf Liter „Sahne mit Stich“ aus der Maschine zu putzen, also trübes Wasser mit sauren Flocken drin, war nicht eben vergnügungssteuerpflichtig.
Apropos Sahne: Für ein Zehnerle holte sich Straßdorfs Jugend mit allergrößtem Vergnügen eine mit Sahne gefüllte Waffeltüte aus dem Milchladen, und oft, sehr oft, landete diese Sahne besonders bei den ganz kleinen Kunden auf dem Boden. Daran erinnern sich alle Milchladen-​Veteraninnen. Und daran, dass die Sahne das kleinere Problem war. Aber wehe eine ganze Kanne Milch wurde umgestoßen. Wer schon mal Milch im Auto vergossen oder Butter auf der Heizung vergessen hat, die sich dann in Dielen oder Teppich gegraben hat, weiß: Diesen Geruch loszuwerden ist schier unmöglich. Außer es wird lange, hart und mit heftigen Mitteln geschrubbt. Womit wieder die Gerüche Thema sind.

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