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Reykjavik in die Welt mitgenommen: Halldor Laxness als Thema beim Musikwinter in Gschwend

Ein Mann mit zwei Seelen und vielen Gesichtern, das war der isländische Nobelpreisträger Halldor Laxness sicherlich. Zwei Männer mit einer Seele für isländische Literatur aus vielen Blickwinkeln, das sind Halldor Gudmundsson und Hans-​Peter Bögel.

Donnerstag, 03. Dezember 2009
Rems-Zeitung, Redaktion
2 Minuten 37 Sekunden Lesedauer

AUTOREN (wil). Der erste leitete den größten Verlag Islands, schrieb eine 600 Seiten dicke Biografie über den Nationaldichter und organisiert die kulturellen Auftritte Islands weltweit — wie ihn Signe Sellke in ihrer Einführung treffend vorstellte, der zweite ist einer der bedeutendsten deutschsprachigen Rezitatoren. Er brachte Laxness’ „Fischkonzert“ zu Gehör.
Natürlich darf beim Gschwender Musikwinter und dem Gastland Island Halldor Kilian Laxness nicht fehlen. Und auch seine Werke nicht. Um beides an einem Abend vorzustellen bedurfte es zweier ausgewiesener Fachleute, einem Schreiber und Erzähler und einem Vorleser und Verzauberer, Hans-​Peter Bögel führte die Zuhörer im Bilderhaus zunächst in ein armseliges Bauernhaus im Westen Islands um 1900, zeigte also gleich starke autobiografische Züge im „Fischkonzert“ auf. Nun war Laxness nicht wie seine Romanfigur Alfgrimur ein Waisenkind, aber die Geborgenheit in der Familie wurde beiden zuteil. Und gerade für Laxness war dies wichtig, wuchs er doch in einem nahezu kulturfreien Raum auf. 1876 traten erstmals zwei Isländer gemeinsam musizierend auf, 1900 gab es die erste Bilderausstellung in Reykjavik. Die Landbevölkerung lebte von ihren Sagen, ihren traditionellen Überlieferungen. So war es für Laxness ein leichtes, schon in jüngsten Jahren mit seinem zweifellos vorhandenen Talent für die Zeitung zu schreiben und mit 14 seine ersten Geschichten zu veröffentlichen.
Die soziale Einstellung der Familie spiegelte Hans-​Peter Bögel im Kapitel „Ein besonderer Fisch“, das sich mit dem Wert von Ware, Arbeit und Geld befasst und vor dem Hintergrund der von Island überschwappenden Finanzkrise eine brisante Aktualität erlangte. Wenig soziales Gewissen zeigte der junge Laxness, der mit 17 Jahren nach Kopenhagen kam und Geldmangel mit Selbstsicherheit ausglich. Rücksicht war ihm fremd. Er zog sich in Luxemburg in ein katholisches Kloster zurück und entsagte der Welt — kurzzeitig. Doch schließlich lockte ihn die Filmindustrie nach Hollywood. Da der Stummfilm aber kaum Skripte brauchte, erlebte der aufstrebende Jungautor hier sein erstes Scheitern. Dies erwies sich nach dem fundierten Urteil von Halldor Gudmundsson für Island aber als wahrer Segen, denn nach seiner Rückkehr schrieb Laxness in den nächsten zehn Jahren fünfzehn seiner sechzig Bücher, darunter „Weltlicht“, neben dem Fischkonzert vielleicht sein bedeutendstes Werk. Hans-​Peter Bögel beleuchtete dazwischen die isländischen Charaktere, die Schlafgesellen im Hause Brekkukot und ihre Kontakte mit der Welt.
Einer Welt, die Laxness bereiste und genoss. Er schrieb über die Kälte Islands unter der wärmenden Sonne der Cote d’Azur, er sympathisierte mit dem russischen Kommunismus im Nadelstreifenanzug. Er besuchte einen sozialistischen Schauprozess, weil er in Moskau einen Verleger suchte, der seine Werke in der Sowjet-​Union zu Geld machen sollte. Auch hier blieb sich Laxness in all seinen Widersprüchen treu. Während er die Welt erlebte, beschrieb er die Provinz, in der sich die Bürger echauffieren, ob es in der Stadt einen Frisör geben dürfe. Der zweite Weltkrieg verbannte ihn wieder nach Island, brachte die Scheidung sowie den Isländern ihr Nationalepos „Islandglocke“. Nach dem Krieg löste er sich von Stalin und entzweite sich durch sein Werk „Atomstation“ mit den Amerikanern, was skurrile Verwicklungen nach sich zog, wie Halldor Gudmundsson zu berichten wusste.
Passend zum größten Erfolg des Autors las Hans-​Peter Bögel die Hauptszene aus dem Fischkonzert, den Gesang für taube Ohren. Laxness wurde weiterhin verlegt, jedoch wandte sich der weltweite Literaturgeschmack von seinem Realismus ab und bei einer Preisverleihung in Kopenhagen wurde er mit den 68-​er Protesten konfrontiert. Die Stimme des großen alten Mannes verstummte und auch der Geist erlosch, seine letzten zehn Jahre raubte ihm die Alzheimersche Krankheit.
Halldor Gudmundsson und Hans-​Peter Bögel umrissen mit Laxness Leben von 1902 bis 1998 ein Jahrhundert, das in Lehmhütten begann und mit Großbanken endete. Trotzdem bleibt Laxness ein Schriftsteller von zeitloser Bedeutung.

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