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Die Lords of the Chords beim Musikwinter in Gschwend: Ein zurückhaltender geistlicher Teil und finnisches Jodeln

Das zweite Konzert des 23. Gschwender Musikwinters 2009/​2010 in der evangelischen Kirche bestritten die „Lords of the Chords“, die „Herren oder gar Götter der Akkorde“ – eine ambitionierte Formation von Sängern aus der ganzen Bundesrepublik.

Dienstag, 19. Januar 2010
Rems-Zeitung, Redaktion
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KONZERT (-ry). Sie kennen sich zumeist aus den Projekten des Chamber Choir of Europe, kennen und realisieren seit 2004 selbst ehrgeizige Vorhaben. Wer an übliche Männerchöre bzw. –ensembles denkt, geht in die Irre. Den Lords wurden Eigenschaften bescheinigt, die sie auch in Gschwend mustergültig einlösten: purer Wohlklang, kraftvoll, samtig, rhetorisch präsent. Dem kann sich der Rezensent uneingeschränkt anschließen.
Die Organisatoren hatten zu wenig Programmblätter gedruckt, sodass sich viele Konzertbesucher schwer taten, trotz der gekonnten Conférence des tiefsten Basses (Joe Roesler) Details zum roten Faden von Komponist und Werk einzuordnen. Zudem wurde nach jedem Gesang applaudiert, was mindestens den Zusammenhang der geistlichen Werke störend zerriss. Der erste Programmteil mit elf Beiträgen präsentierte geistliche Musik von der Renaissance bis zur Gegenwart. Der Ordnungsrahmen „Messe“ glich einer etwas willkürlich Fügung, wobei der Terminus „Anbetung“ hinsichtlich des „Ave Maria“ – zwar tradiert, dennoch falsch – glatte Irrlehre ist: Maria wird verehrt, erfährt aber keine Anbetung, die nur Gott allein zusteht. Zudem veränderte Bruce Trinkley in seiner Bearbeitung das Brucknersche Original hinsichtlich der Melodieführung recht eigenwillig.
Die stilistische und Intonationssicherheit waren mehr als respektabel. Die neun (statt der im Programm genannten zehn) Herren beherrschen ihr Metier mit Bravour. Der Preis der durchgängigen Homogenität war eine überaus disziplinierte Dynamik, welche dem Jubel eher Bandagen anlegte. Beim wenig erfahrenen Hörer konnte der falsche Eindruck entstehen, als sei A-​cappella-​Kirchenmusik meist so zurückhaltend.
Der zweite Konzertteil pflegte ausschließlich weltliches Repertoire: von Liebe und ihren Leiden, menschliche Charakteristika, Anmutiges und Derbes, bis hin zur näselnden finnischen Variante bayerischen Jodelns. Hier zeigten sich die Sänger äußerst flexibel und ergänzten wirkungsvoll, wo sie sich im geistlichen Teil eher zurückgehalten hatten. Kam da die tenorale Höhe meist nur falsettiert, so glänzte sie jetzt expansiv.
Die launige Moderation, auf Hochglanz poliert, kokettierte gewaltig. Entsprechend wuchsen Begeisterung und Beifall.
Die Lords sind sehr zu loben dafür, dass sie keine üblichen Programme sattsam wiederholten, sondern Komponisten und Werke zu Gehör brachten, die eben nicht geläufig sind. Solche Programme haben einfach einen unverwechselbaren Reiz. So ist es auch kein Wunder, wenn diese Künstlerformation aufhorchen lässt und viele Fans gewinnt. Die Defizite des Abends dürfen redlicher Weise nicht verschwiegen werden: Es gab nicht nur zu wenig Programme, sondern diese waren auch inhaltlich dürftig. Nichts über die Künstler, kein erhellender Hinweis aufs Programm, kein Hintergrundwissen …
Ärgerlich, dass nummerierte Plätze bereits anderweitig besetzt waren. Die Berichterstatter hatten miserable Seitenplätze neben bzw. hinter den musikalischen Akteuren, sodass die akustische Wahrnehmung an deutliche Grenzen stieß. Zum Glück entschädigten die Darbietungen für die behebbaren Mängel. Was bleibt? Der Genuss des Hörens, aber auch die Frage, ob der sakrale Raum eines Gotteshauses gegen Johannes 2,16 zum reinen Konzertraum eben auch völlig weltlicher Musik mutieren darf.

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