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Reisebericht, Teil 10: Der große Traum ist ausgeträumt – die Gmünder Friedensradler erhalten kein Visum für den Iran

Seit dem 19. Juli befinden sich Wolfgang Schlupp-​Hauck und seine Frau Brigitte Schlupp-​Wick mit dem Tandem auf dem Weg, dessen Ziel eigentlich der Iran sein sollte. In unregelmäßigen Abständen schreiben sie für die Leser/​innen der Rems-​Zeitung Reiseberichte. Heute folgt Teil zehn. Von Wolfgang Schlupp-​Hauck

Dienstag, 26. Oktober 2010
Rems-Zeitung, Redaktion
3 Minuten Lesedauer

SCHWÄBISCH GMÜND /​MUTLANGEN. Mit der Fähre sind wir über das Marmarameer gefahren. Im Bus nach Bursa treffen wir eine junge türkische Frau. In perfektem Englisch erzählt sie uns, dass sie mit ihrer Freundin auf dem Motorrad durch den Iran gereist ist. Dabei wurde sie zwei Mal festgenommen. Sie hatte eine Moschee betreten, während dort die Männer beteten. Sie wurde nach einer Belehrung, dass es einen gesonderten Raum für Frauen gibt, freigelassen. Beim zweiten Mal wurde sie für einige Tage festgehalten. Sie hatte mit Stöckelschuhen gegen die Bekleidungsvorschriften verstoßen. Dennoch schwärmt sie von der Freundlichkeit der Bevölkerung und den kulturellen Schätzen des Landes. Wir freuen uns über diese Offenheit, doch ihre Erzählung macht uns auch Angst.
Im Stockdunklen steigen wir aus dem Bus. Mit unseren Gastgebern haben wir uns an einem Einkaufszentrum bei der türkischen Fahne verabredet. Wir schauen uns um. Über der Straße weht hoch in der Luft von Scheinwerfern angestrahlt eine riesige rote Flagge. Wir steuern direkt darauf zu, sind froh den Treffpunkt so schnell gefunden zu haben, aber niemand ist da. Ein Handyanruf klärt, am anderen Ende des Einkaufkomplexes weht noch so eine Fahne. Das Missverständnis war fast vorprogrammiert, denn in der Türkei hat jede Firma mindestens eine Fahne gehisst.
Ali und Dilek sind Mitte 30, beide kaufmännische Angestellte und haben eine Tochter. Zum Übernachten wurden wir im Wohnzimmer einquartiert. Weil am Wochenende Besuch zu ihnen kam, wechselten wir dann zu einer anderen Familie. Über die Friedensorganisation Servas fanden wir so wieder eine offene Tür.
Turan ist 70 Jahre, seine Frau Sena ist 20 Jahre jünger und gemeinsam haben sie eine fünfjährige Tochter. Diese Familienkonstellation ist in der Verwandtschaft unerwünscht und so fehlt ihnen der sonst übliche Bezugsrahmen der Großfamilie. Die Gespräche waren erstaunlich tiefgehend. Weil Brigitte und Sena sich nicht direkt verständigen konnten, waren die Männer Dolmetscher und tauschen sich so in Englisch über die Wechseljahrprobleme der Frauen und Erziehungsfragen aus. Wir ermunterten die beiden, ihre Tochter in einen Kindergarten zu schicken, so dass Bilge Kontakt mit anderen Kindern bekommt und die Eltern Zeit für sich haben.
Bursa ist bekannt für seine heißen Quellen. Es gibt dort viele türkische Bäder: Hamams. Klar, dass ein Besuch auf unserer Wunschliste stand. Getrennt gingen wir los: Brigitte in den Frauen-​Haman und ich zu den Männern. Zunächst wird in der Sauna tüchtig geschwitzt. Im Männer – Hamam läuft dabei Wasser aus der heißen Quelle unter dem Sitz. Gerade als die feuchte Hitze nicht mehr zum Aushalten war, kam der Tellak und holte mich zum Reinigungsritual. Zunächst wird die Haut mit einem groben Waschlappen solange geschrubbt, bis dunkle Hautröllchen sich lösen. Dann seift er einen von Kopf bis Fuß ein, verteilt den Schaum aus einem mit Luft und Seife gefüllten Sack und massiert kräftig. Danach schickte er mich in das Becken mit warmen Quellwasser. Vor der abschließenden Ölmassage gibt’s noch einen Ayran im kühlen Frischluftraum. Nach zweieinhalb Stunden treffen wir uns wieder. Brigitte ist etwas enttäuscht, weil bei den Frauen die Behandlung spärlicher ausgefallen war.
Im historischen Rathaus sind wir zum Vizebürgermeister eingeladen. Er sitzt zunächst distanziert hinter dem riesigen Schreibtisch. Wir sprechen über die US-​Atomwaffen in Deutschland und der Türkei und wie wichtig es ist, sich für deren Abzug einzusetzen. Er kommt auf Hiroshima und Tschernobyl zu sprechen. Das Gespräch wird emotionaler.
Wir regen die Förderung alternativer Energien an und erklären, dass wir dort, wo die meiste Sonne scheint, die wenigsten Solaranlagen gesehen haben. Er erklärt uns, dass Bursa gerade eine Fachtagung zu regenerativen Energien durchgeführt hat und verspricht uns, dass, wenn wir wieder nach Bursa kommen, wir Windräder und Solaranlagen sehen werden. Als wir ihm zum Abschied den Papierkranich schenkten, wurde die Stimmung sehr emotional. Er wünschte uns alles Gute und zitierte Atatürk: „Frieden in der Heimat und Frieden in der Welt.“ Diesen Satz werden wir bei zukünftigen Gesprächen immer wieder zu hören bekommen.
Mit diesem Treffen kommen wir in die türkischen Zeitungen und Internet-​Medien. Das ist gut, denn unser nächstes Ziel ist Ankara, wo wir mit Abgeordneten der türkischen Nationalversammlung sprechen wollen.
Doch der große Traum ist ausgeträumt – wir fahren nicht in den Iran. 2200 km sind wir mit unserem Tandem bis nach Istanbul geradelt. Genau so viele Kilometer sind wir in der Türkei mit Schiff, Bahn und Bus unterwegs gewesen. Wir haben keinen Autorisierungscode für ein Visum erhalten, obwohl wir die entsprechende Gebühr bezahlt haben und die Zusage hatten, dass bis zum 9. Oktober das Ergebnis vorliegt und Isfahan uns gerne empfangen hätte. Wir werden aber auch nicht weiter versuchen ein Visum zu bekommen, sondern ändern unsere Reisepläne. Wir haben von mehreren Seiten intensive Warnungen bekommen und waren völlig hin und hergerissen, was wir denn jetzt tun sollen und wollen. Die Nachricht von der Festnahme zweier Deutscher im Iran verstärkte die Zweifel. Es gab schlaflose Nächte, vieles was wir in uns bewegten, vor allem den Traum aufzugeben. Dazu die Hundepanik, die sich bei Brigitte eingenistet hat. Wir trauern dem Traum einer Friedensradtour im Iran noch sehr nach. Wir haben noch keine Lösung. Wenn wir wissen, wie es weiter– geht, werden wir darüber berichten.

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