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Musikperformance in der Justizvollzugsanstalt Gotteszell: „Über den Zaun der Nachbarie“

Es waren ungewöhnliche Instrumente, die den Frauen in Gotteszell zur Verfügung standen. Waage, Stepper, Nähmaschine und Rohre. Genug für ein musikalisches Experiment der Kulturregion Stuttgart in ungewohnter Umgebung.

Donnerstag, 07. Oktober 2010
Rems-Zeitung, Redaktion
1 Minute 28 Sekunden Lesedauer

KONZERT (ww). Dies waren die ungewöhnlichen Tonerzeuger, die zusammen mit kratzenden Stühlen und klopfendem Stab am Treppengeländer für eine ungewöhnliche Klangkulisse sorgten. Die ehemalige Marienkapelle im ehemaligen Kloster wurde am Sonntag zur Bühne für ein ungewöhnliches Experiment. Im Rahmen der Reihe „Musik der Jahrhunderte“ gestaltete Komponist Niklas Seidl mit sieben Frauen aus der JVA eine Musikperformance.
Alltagsgeräusche aus dem Knastleben wurden gesammelt, kombiniert, zum Teil elektronisch verfremdet und letztendlich komponiert. Die rhythmische Anordnung der gewöhnlich durcheinander ertönenden Geräusche, im normalen Tagesablauf wohl eher als störend empfunden, schuf Musik — Zukunftsmusik. Wohl kommt es nicht auf die Art der Geräusche an, sondern auf deren sinnvoll gestaltete Anordnung. Vormals lediglich als Geräuschfragmente isoliert wahrgenommene Laute verbinden sich zu Abfolgen, die als Musik wahrgenommen werden.
Projektionen an der Wand -
Ansichten aus dem Innenleben
Bindet man in diese Lautfolgen reale Instrumente ein — hier wurden Melodicas eingesetzt — und fügt optische Elemente hinzu — Videokünstler Andreas Mihan sorgte für begleitende Bilder an der Wand — entsteht das Gesamtkunstwerk einer Musikperformance, die zeitgenössischen Musikformen Ausdruck verleiht. Für die entsprechende Dramaturgie sorgte Jan Rohwedder, die Klangregie übernahm Felix Dreher.
„Über den Zaun der Nachbarie“ titelt das Werk, das das „Zusammenleben unter verschärften Bedingungen“ in Musik zu fassen sucht. Alltagserfahrungen Inhaftierter werden mit Hilfe von Künstlern zu Kunst verarbeitet.
„Es war ein intensives Stück Arbeit mit den Damen, bis wir das Stück so auf die Bühne bringen konnten“, resümiert Niklas Seidl. Und dass dieses Projekt so zustande kam war keine Selbstverständlichkeit. „Sechzehn Städte bewarben sich um die Teilnahme“, erklärt Projektleiterin Katharina Weißenborn, „und die zwölf spannendsten wurden ausgewählt.“
Darunter befand sich Gmünds Vollzugsanstalt Gotteszell. Viele Gespräche mussten im Vorfeld geführt werden und letztendlich wurde zwei Wochen lang intensiv geprobt. „Dass diese Veranstaltung stattfinden kann, ist keine Selbstverständlichkeit“, befand Anstaltsleiterin Sibylle von Schneider-​Holl. Aber das Künstlerteam habe die unerlässlichen Begleitumstände, die doch manches erschwerten, akzeptiert.
Und die mitwirkenden Frauen seien hochkonzentriert und motiviert bei der Sache gewesen. Umfassender Beifall, auch der zuschauenden Mitgefangenen, belohnte die erfolgreiche Darbietung.

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