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Video von Astrid Nippoldt im Projektraum der Juvenale vorgestellt /​Das Werk regt zum genaueren Hinsehen an

Zum Abschluss der Juvenale 2010 stellte die junge Künstlerin Astrid Nippoldt ihr Video „Getaway Inn“ im Projektraum der Juvenale vor. Sie wurde 1973 in Gießen geboren und erhielt schon einige Auszeichnungen und Stipendien für ihre Arbeit. Von Inga Adam

Freitag, 05. November 2010
Rems-Zeitung, Redaktion
3 Minuten Lesedauer

AUSSTELLUNG. Der Film, der den Besuchern gezeigt wurde, dauerte zehn Minuten. Darauf folgte eine Diskussionsrunde. „Getaway Inn“ entstand mehr oder weniger vor der Tür zu Nippoldts Atelier und bei verschiedenen Events der reichen Oberschicht 2006 in Rom. Ihr Werk soll die Rätselhaftigkeit der Leere ausdrücken.
Für den Betrachter scheint der Stummfilm, der nur mit einer immer wieder auftretenden Vierklangsmusik unterlegt wurde, auf den ersten Blick keinen Sinn zu ergeben. Es werden verschiedene Szenen eingeblendet, die zusammenhanglos erscheinen, wie zum Beispiel eine Szene in der nur drei Paar Frauenbeine gezeigt werden, wobei eine der Damen mit ihrem Absatz hängen bleibt.
Die Rätselhaftigkeit, die mit eben solchen Szenen entsteht, lassen den Film wiederum nicht leer wirken und regen zum Denken an. Bei dem Projekt stand Astrid Nippoldt im Dialog mit sich selbst und mit dem, was sie machte. Die Tiefe der Bilder und des Filmes entwickle sich durch die Arbeit und benötige viel Zeit. Das ganze beginne mit einem Spannungspunkt, der immer größer werde im Laufe der Films. Um ihre Ideen in die Tat umzusetzen arbeitete Astrid Nippoldt gut ein Jahr an ihrem Projekt. Sie nahm vor ihrem Atelier gut betuchte Personen wahr, die sie zunächst als Störung empfand. Doch dann wendete sie eben diese Spannung und Reibung ins Positive um. Daraufhin filmte sie die Reichen auf verschiedensten Events, was sich nicht zu einer Schwierigkeit entwickelte aufgrund der Tatsache, dass eben diese reichen Personen sich im Generellen gerne filmen lassen. Astrid Nippoldt begab sich, zusammen mit anderen Reportern und Fotografen, unter die reiche Menge.
Dadurch, dass sie bei mehr als fünf Events war, entstand so viel Material, dass viele Richtungen der Entwicklung des Projekts ermöglicht wurden. Nippoldt habe sich jede einzelne Szene angeschaut und sei an denen hängen geblieben, die sie dann auch zu einen Film zusammenschnitt. Durch diese Arbeit betrachte sie sich sozusagen als „Bildhauer“, da sie kleine Szenen zu einem Ganzen verarbeite. Die Bilder des Films scheinen manchmal wie indirekte Zitate. Es gibt zwar einen Aufbau der Spannung, doch die genaue Handlung bleibt dennoch offen. Die Darstellungen im Film sind nicht explizit und rufen dennoch Erfahrungen in den Köpfen der Menschen hervor. Das, worum es tatsächlich geht, wird nicht direkt gezeigt. Der Film schafft ein gewisses verdecktes Begehren nach dem Misslingen von Perfektion, was unter anderem durch das Hängenbleiben des Schuhabsatzes der Frau hervorgerufen wird.
Das Werk von Astrid Nippoldt regt zum genaueren Hinsehen an, da ihr selbst auch viele Dinge erst bei der Auswertung der Bilder aufgefallen seien und nicht schon früher beim Filmen. Die Leute in dem Film schauen nie direkt in die Kamera. Damit die Personen nicht merkten, wie sie direkt gefilmt wurden, stellte sich die Künstlerin ins Gegenlicht. Der gesamte Kurzfilm ist in Zeitlupe. Die Verlangsamung wirkt wie ein Sog und lässt jede Bewegung theatralisch wirken, sodass sogar die banalste Geste aufgeladen wird. Die Zeitlupe hat einen weiteren künstlerischen Effekt: es werden zum Beispiel Lichtverläufe durch Gesichter wahrgenommen; Dinge die einem ohne Zeitlupe gar nicht auffielen.
Es wurden Szenen gefilmt, in denen sich die Leute nicht beobachtet fühlten, sodass Dinge gesehen werden, die nicht gesehen werden sollte. Dies schafft einen weiteren Moment des Begehrens, wie bei einer Schlafenden, die man beobachtet und auf der einen Seite einem so nah und doch so fern scheint.
Der Ton während des Films hat ebenfalls einen Einfluss auf den Beobachter, indem er die Sinne öffnet durch den gleich bleibenden Klang. Aber auch andere Töne sind im Film vorhanden, wie zum Beispiel die Originalklänge im Park von einer Krähe. Der Vierklang wurde zu den Bildern kollagiert und stammt aus einem Werk von Louis Armstrong, nur verlangsamt und dunkler. Der Ton befindet sich während des Films in einer Abwärtsbewegung. Dadurch, dass die Tonspur immer anders ist als das gezeigte Bild, entsteht wiederum eine Erzählstrategie.
Um das Werk von Astrid Nippoldt zu verstehen, muss man „Getaway Inn“ mehrere Male gesehen haben. Durch den Fakt, dass der Film ein Stummfilm ist, vergeht die Zeit viel langsamer und legt bei genauerem Hinsehen die Welt hinter dem Sichtbaren frei. Dies steht ganz im Gegensatz zu den konventionellen Filmen aus Hollywood. In diesen Filmen sind viele Bilder zu sehen und alles erscheint offensichtlich, wohingegen in „Getaway Inn“ wenige Bilder einen dazu anregen, selbst zu denken. Uns Menschen scheint die sichtbare Welt geschlossener, wodurch wir vergessen, dass es auch noch anderes hinter der sichtbaren Welt zu entdecken gibt. Je mehr man über die Welt weiß, desto mehr sieht man dahinter.
Astrid Nippoldt spielt beim Filmen mit dem Licht. Sie verwendete verschiedene technische Verfahren an, wie das ein– und ausblenden von Licht. Durch das Blenden entsteht eine gewisse Körnigkeit, die auch wieder dieses Verborgene zum Ausdruck bringt. Es gibt eine starke Wechselwirkung der Szenen durch ihre unterschiedliche Verarbeitung.
Die andauernde Unschärfe irritiert den Beobachter, was wohl auch damit zu tun hat, dass wir es gewohnt sind immer alles scharf zu sehen, wie zum Beispiel durch HD in Fernsehen.

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