Vom Barock bis zur Gegenwart: Benefizkonzert mit dem Münsterorganisten Stephan Beck
Der Zweck ist klar: die finanzielle Förderung des Münsterbau-Vereins mit seinen vielfältigen umfangreichen Aufgaben — das Ziel auch: den vielen Konzertbesuchern eine Freude zu machen. Was liegt näher, die Tradition zu pflegen, zu Beginn des neuen Kirchenjahres eine Adventsbesinnung zu schenken.
Mittwoch, 01. Dezember 2010
Rems-Zeitung, Redaktion
2 Minuten 22 Sekunden Lesedauer
Zwei Gesichtspunkte prägten die musikalische Realisation: die stilistische Bandbreite vom Barock über die französische Romantik bis zur Gegenwart (Improvisation des Organisten) und das feine Gespür für die Details.
Mit Georg Muffat und Franz Xaver Murschhauser gab es zwei katholische Vertreter es süddeutschen Barock. Des Ersteren Toccata octava war ein sammelnder Introitus, ideenreich, linear, kontrapunktisch als auch farbig. Murschhauser erfreute mit der Variationsbreite seiner Aria „Dein’ große Lieb’, o Jesulein“ ob des Reichtums an unterschiedlichster Registerwahl, die den Charakter der Variationen wirksam hervorhob. Überhaupt gelang es Stephan Beck wie gewohnt, die Details meisterhaft zu präsentieren — ein purer Hörgenuss!
Die Schlichtheit der hübschen Choralbearbeitungen aus der wiederentdeckten „Neumeister-Sammlung“, jener Fundgrube auch an Modellen der Cantus-firmus-Verarbeitung, ließen die Adventschoräle eines Johann Michael und dessen jüngeren Bruders, Johann Sebastian Bach, gleichsam ausleuchten. Man kann nur staunen, was da an erworbener Kompetenz so einfach zu Herzen geht. Entsprechend war die Registrierung angemessen zurückhaltend, meditativ. Die Ausnahme: „Herr Gott, nun schleuß den Himmel auf“, nach Becks Deutung das Schimpfen des verwaisten Johann Sebastian mit dem lieben Gott (ganz in der Tradition der Psalmen), deshalb zupackend bis energisch. Den Bogen beschlossen Präludium und Fuge G-Dur BWV 541 — von vielen Kollegen des Münsterorganisten regelrecht runtergehobelt, um Virtuosität zu demonstrieren.
Ganz anders Stephan Beck, der durch das gemessene, keineswegs langweilige Tempo überhaupt das Mithören, –vollziehen des Linienfiligrans im Manual bzw. Pedal überhaupt zu ermöglichen. Da floss dann alles majestätisch, bei geradezu natürlichem Pathos, durchaus Maßstab setzend!
Man kann nur staunen, was
da so einfach zu Herzen geht
Mit César Francks Choral a-Moll kam die französische Orgelsinfonik zu ihrem prachtvollen Recht. Wiederholt bewegt anhebend mit Akkordbrechungen, entfaltete sich hymnisch kraftvolle Größe. Die vielen charakteristischen Zungenstimmen der Klais-Orgel bescherten ein einziges Farbgemälde tiefer Empfindungen, jener Höhepunkte, welche die menschliche Seele immer wieder braucht, um das Humanum leben zu können.
Stephan Beck besitzt auch liturgisch Pietät genug, sich nicht vom Mainstream verfangen zu lassen, zur Unzeit alles vorweg zu nehmen (Kommerz und Rummel der „Weihnachts“märkte verdecken eher das Geheimnis der Menschwerdung Gottes). Deshalb improvisierte der außergewöhnliche Künstler so dezent die Weihnachtslieder „Es ist ein Ros’ entsprungen“, „O Jesulein zart“ und „Süßer die Glocken nie klingen“, dass der Vorfreude nicht aufdringlich Abbruch getan wurde. Ganz im Gegenteil: Wie von fern leuchte Glanz verlockend zart herüber. Man spürte sehr wohl die gemüthafte Erwiderung auf dem Antlitz der Hörer.
Wie nach einer guten Meditationsübung muss der Proband in die Wirklichkeit zurückkehren. So war es auch psychologisch gekonnt, das 70-minütige Konzert mit dem „Carillon de Westminster“ des berühmten Louis Vierne zu beschließen. Mein Nachbar war ebenfalls fasziniert und summte das Motiv angesteckt mit.
Nach dem herzlichen Beifall folgte die Zugabe aus der „Neumeister-Sammlung“ mit dem behutsamen „In dulci jubilo“ des älteren Bach-Bruders. Dankerfüllt verließen die vielen Menschen das Gotteshaus - bis es in einem Jahr heißen wird: Auf ein Neues.
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