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In der Kürze liegt die Würze: Winfried Schindler und Reinhard Nowak üben sich in der Kunst der zuspitzenden Verdichtung

Mit wenigen Worten viel zu sagen, das ist die Kunst des Aphorismus. Dies kann bitterernst, fast schon makaber sein: „Gedankenlosigkeit tötet – andere“, wie Stanislaw Jerzy Lec formulierte.

Freitag, 03. Dezember 2010
Rems-Zeitung, Redaktion
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AUTOREN (wil). Dies kann aber auch schalkhaft wortwörtlich genommen werden und durch das Paradoxon zum Schmunzeln reizen: „Wer zu gradlinig ist, kriegt die Kurve nicht“, um Winfried Schindler zu zitieren.
Reinhard Nowak, frisch pensionierter VHS-​Leiter, und Winfried Schindler, Germanist und Altphilologe und beide Mitglieder im Gmünder Autorenkreis, verbindet schon seit längerem die Liebe zum knappen Ausdruck. Nicht der stimmungsvolle Roman ist die Heimat ihrer Gedanken, sondern der Aphorismus, jene kürzeste Form einer weit reichenden Idee. Allgemeingültiges in einen Satz zu fassen, Aussage und Inspiration in wenigen Worten zu vereinen, Gegensätze einzeilig einander gegenüber zu stellen, das ist die Kunst, die beide gleichermaßen reizt.
Über die lange Tradition des Aphorismus klärte Winfried Schindler zu Beginn der Lesung in der Gmünder VHS auf, griff zurück zu Hippokrates, der seine Thesen in eingängige Kurzform setzte und somit die ersten Aphorismen schuf. Sokrates mit seinem berühmten Spruch „Ich weiß, dass ich nichts weiß“ gab dem Aphorismus schon die Wende ins Komische, nutzte die Sprache als Spielzeug mit dem Gegensätzlichen.
Im 17. Jahrhundert setzte sich der Begriff Aphorismus im Sprachgebrauch durch, abgeleitet von „definieren, absondern, herausheben“. In kürzestmöglicher Form sollte ein Gedanke aufblitzen, zum Nachdenken animieren. Lichtenberg, Schlegel, Nietzsche und Wittgenstein sind die großen Aphoristiker deutscher Sprache, die ihre Gedanken zumeist in Fragmente kleideten. Karl Kraus und Elias Canetti brachten den Hintersinn, ja die Polemik in den Aphorismus, wie Stanislaw Jerzy Lec mit ihm die kommunistische Diktatur bekämpfte.
Diese Kulturgeschichte einer Textgattung von Winfried Schindler war der gelungene Einstieg in den Abend, denn nur Kürzesttexte vorzutragen ist für den Zuhörer dann doch schwere Kost.
Nowak und Schindler hatten ihre Auswahl deshalb gegliedert und wechselten sich auch im Vortrag ab. Von Aphorismen über den Aphorismus schlugen sie den Bogen über die Sprache zur Psychologie und zum Ich: „Jeder enthält zu sich selbst eine Alternative“ (Nowak). Über die Gefühlswelten, die Zeit und die Zukunft (Schindler: „Die Zukunft ist längst verhaftet: im Gefängnis der Gegenwart“) wandten sie sich der Philosophie zu: „Die Theorie ist einfacher als die Praxis. Das wissen wir (zumindest theoretisch)“, so Nowak, der hier bereits mit dem Paradoxen spielt. Der hohe Begriff der Wahrheit ist für den Aphorismus natürlich wie geschaffen: „Wer soll dir auf die Schliche kommen, wenn du dich selbst betrügst?“ fragt Reinhard Nowak. Vortrefflich lässt sich mit Redewendungen spielen, man muss sie nur gelungen zusammenfügen. So rät Winfried Schindler: „Lass den Kopf nicht hängen, wenn dir das Wasser bis zum Halse steht.“ Diese Bildhaftigkeit der Sprache reichte auch ins nächste Kapitel über die Frauen und die Liebe: „Wer Frauen verstehen will, bringt sie um ihren größten Reiz“, so Schindler. Reizvoll jedoch war die gelungene Auswahl, der weit reichende Streifzug auf den Spuren des Aphorismus, den Reinhard Nowak und Winfried Schindler mit ihren Zuhörern gingen.

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