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Forum für Nachwuchstalente: SWR2 gastiert mit dem Studiobrettl erneut im Gmünder Stadtgarten

So etwas hat die Gschwender evangelische Kirche in den 23 Jahren Musikwinter sicher noch nicht erlebt: vier hochkarätige professionelle Schlagzeuger und dann eine nur spärlich besetzte Kirche.

Dienstag, 09. Februar 2010
Rems-Zeitung, Redaktion
2 Minuten 31 Sekunden Lesedauer

KONZERT (-ry). Das vorletzte der vier Saisonkonzerte wurde von Elbtonal Percussion bestritten: Wolfgang Rummel, Andrej Kauffmann, Jan-​Frederick Behrend und Stephan Krause warteten auf mit stilistischer Sicherheit in allen denkbaren Genres, voll schier grenzenloser Energie, physisch wie psychisch.
Am wenigsten trafen gängige Klischees das Gehörte. Jan-​Frederick Behrend, weder verwandt noch verschwägert mit dem deutschen Jazzpapst Joachim-​Ernst Berendt, begann eher introvertiert, zärtlich, auf dem Marimbafon, jenem afrikanisch-​spanischen Bruder des Xylofons als Nationalinstrument Guatemalas, dessen Größe allein schon imponierte: fünf Oktaven! Da können denn auch mehrere Künstler gleichzeitig spielen. Mit vier Schlägeln weckte also Behrend besinnliche Emotionen, die auch später immer wieder für den nötigen Kontrast zu den in voller Dröhnung expandierenden Schlägen sorgten. Ob nun wirklich original aus anderen Kulturen stammend oder denen nachempfunden, erreichte die Hörerohren eine Fülle unterschiedlichster Ausdrucksweisen: von liebevoll streichelnd bis roh hämmernd. Neben dem ersten Melodieinstrument kam mit dem Vibrafon das zweite hinzu, das durch Metallplatten und rotierende Drehscheiben und mittels Pedal(dämpfung) das Schweben der Töne ermöglicht (über drei Oktaven).
Eine Batterie von Trommeln, Cymbeln, Gongs und Becken
Die Ergänzung beider Instrumente durch eine Batterie von Trommeln, Toms, Cymbeln, Gongs, Schellen und Becken erlaubte eine riesige Palette von Effekten, die von den vier Elbtonälern gebührend demonstriert wurden. Klar, dass wegen der eher wenigen Originalkompositionen (Stockhausen, Lachenmann, Henze …) eigene oder in entsprechenden Arrangements gegossene erklangen. Optisch war nicht zwingend auszumachen, ob die Künstler Ohrenstöpsel zur Schonung der Trommelfelle oder Ohrhörer zur notwendigen instrumentalen Synchronisation brauchten.
Ein Programmheft gab es nicht, Behrend und Kauffmann moderierten als perfekte Entertainer. Echte Storys oder bestens erfundene, das Publikum nahm sie ebenso begeistert auf wie die Musik selbst. Der Unterhaltungswert tendierte zu Superlativen. Von wegen Frustration ob der zitierten Anfragen (interessanterweise immer älterer Herrschaften!), man gewann eher den Eindruck, als ob die Conférenciers lustvoll kokettierten.
Mit traumwandlerisch sicherem Gespür zelebrierten die Künstler sich selbst und ihre Musik, deren Dezibelgrenze mehr als durch Mark und Bein ging, quittiert mit frenetischem Beifallgetrampel. Vielleicht war es ja Fügung, dass sich der Besucherstrom in Grenzen hielt, sonst wäre der Statiktest für das Gotteshaus gefährlich eng geworden! Manche Schlägel glichen Prügeln. Was da die armen Felle der Instrumente wie diejenigen der Ohren auszuhalten hatten: akustische Gewalt pur. Und dann wieder das andere Extrem: Verträumtes vom Feinsten. Dazwischen ein ungewollter Dialog mit einem aufheulend über die Gaildorfer bzw. Schwäbisch Gmünder Teile der B 298 bretternden Auto.
Selbst vier eilig aufgestellte Aluminiumleitern wurden umfunktioniert, die Akteure mit Warnwesten und Helmen, die gleichfalls gezielten Schlägen standhalten durften. Das erst kürzlich in Kraft getretene Wachstumsbeschleunigungsgesetz ließ grüßen. Zum Glück war ein Kasten Bier bereitgestellt. Die Entnahme der Flaschen läutete sinnfällig die Pause ein.
Der zweite Teil fügte sich ebenbürtig an den ersten. Für die Zugabe wurden dann vier Tische zusammengestellt, die Schlägel durch Kochlöffel ersetzt, die Tischplatten dienten als Zielinstrumente. Kochmützen sowie Schürzen bis Lätzchen machten dem Letzten schließlich klar, worum es ging: „Mahlzeit!“ tönte es aus vier Mündern.
Und damit war die Zwiespältigkeit des Abends vollends offenbar: Behrend hatte sich zu Beginn für die Auftrittsmöglichkeit in der Kirche bedankt: aus akustischen Gründen.
„Musikwinter“ und Kirchengemeinde müssen aufpassen, dass der „erspielte“ Ruf nun nicht „verspielt“ wird. Gilt es weder Pietät noch Ehrfurcht zu pflegen? Wird das Haus des Gebets vollends zu einer Markthalle? Schon beim Konzert vom 16. Januar ergab sich die Frage, ob der sakrale Raum eines Gotteshauses gegen Johannes 2,16 zum reinen Konzertraum eben auch völlig weltlicher Musik mutieren darf.
Ist die Grenze endgültig überschritten?

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