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Eine fein ausgelotete Komödie: das Theater Pforzheim führte in der Musiktheaterreihe Verdis „Falstaff“ auf

Nach dem eher verwirrenden „Freischütz“ gastierte das Theater Pforzheim mit Verdis „Falstaff“ in gewohnter Qualität. Vergessen der Ausrutscher an Originalitätssucht – nun erlebte man im Stadtgarten eine wirklich und fein ausgelotete Komödie. Von Peter Skobowsky

Sonntag, 18. April 2010
Rems-Zeitung, Redaktion
2 Minuten 3 Sekunden Lesedauer

OPER. Die Vorlage von Arrigo Boito (selbst kompetenter Komponist) nach William Shakespeare inspirierte Giuseppe Verdi derart, dass dieses opus finitum zugleich sein humanes Credo verkündet: „Alles ist Spaß auf Erden“. Das scheint so gar nicht zu passen, hatte Verdi doch seither „nur“ seriöse, meist tragische Oper geschrieben. Jetzt also ein von Humor diktierter, Lebenslust strotzender „Schwanengesang“?
Mochte man anfangs etwas skeptisch sein ob des kargen Bühnenbildes von Sibylle Schmalbrock (eine so triste Kneipe hat nichts Einladendes), so gestattete reduzierter Kulissenbedarf auch für auf Tournee gehendes Theater ökonomische Realisation. Zugleich verwies die Requisite auf das Eigentliche: die Handlung in moralischer Verschränkung.
Statt GMD Markus Huber dirigierte Studienleiter Diethard S. Haupt mit großem Gespür für alle Details, legte die musikalischen Raffinessen kongenial frei. Überhaupt musizierte die Badische Philharmonie ansteckend: spritzig, feinsinnig, dann wieder zulangend, protzend – kein Klappern, dafür sensibel begleitend, so dass das ausgezeichnete Solistenensemble auch im dreifachen Forte mithalten konnte.
Wer das Pendant kennt, des studierten Kirchenmusikers Carl Otto Ehrenfried Nicolais „Die lustigen Weiber von Windsor“ (etwa ein halbes Jahrhundert vor Verdis Meisterwerk uraufgeführt), der ist begeistert von Ähnlichem und Kontrast. Allein Verdis Ensemble-​Sätze sind einfach mitreißend, ob dies z. B. das achtmalige rhythmisch synchrone Lachen des Damenquartetts ist oder „Tutto nel mondo è burla, l’uom è nato burlone“ („Alles ist Spaß auf Erden, der Mensch als Narr geboren“) — die bravouröse Schlussfuge des Finale … Daniel Henriks überzeugte als Sir John Falstaff durch hinreißendes Agieren — Prototyp des eitel genusssüchtigen Liebhabers. Heikki Kilpeläinen (Ford) war ein leidenschaftlicher Eifersüchtler. Beide Bariton, aber von charakteristisch individuellem Zuschnitt.
Die Damen standen dem Anspruch in nichts nach: Tonje Haugland (noch in bester Erinnerung als Agathe) als Alice, Elif Aytekin (damals Ännchen) als deren verliebte Tochter Nannetta, die agile Gabriela Zamfirescu mit fantastisch schwarzem Alt sowie Marie-​Kristin Schäfer (Mezzosopran) als Meg — sie alle kontrastierten glänzend das Klischee der Männer. Selbst die Nebenrollen waren gut besetzt, so dass es weder ein spielerisches noch sängerisches Gefälle gab.
Die Kostüme der Bühnenbildnerin spiegelten aktuelle Anpassung: nostalgisch Sir John in „historischem“ Gewand, Ford und Dr. Cajus in Anzug und Krawatte, die Damen im modischen Hosenanzug, Kleid oder Kostüm, die „Jugend“ cool: Nannetta in Leggins usw., ihr verarmter Liebhaber Fenton als romantischer Lyriker ebenso mit weiten Jeans, Sweatshirt und Wollmütze wie die Diener Falstaffs. Immerhin: der „Was-​geht-​Typ“ Fenton bedient sich altmodischer Liebesposen!
Auch sonst kam das Publikum auf seine Kosten bezüglich Schmunzeln oder Lachen ob der Komik bzw. Groteske. Alles wurde so prächtig „auf die Schippe genommen“. Wem da letztlich die „Hörner aufgesetzt“ wurden, ließ mehrere Antworten zu. Auch der dem Publikum vorgehaltene Spiegel verfehlte seine Wirkung nicht.
Nach der musikalischen Komödie des Vorabends mit Hans Liberg nun die traditionelle „klassische“ Variante — beides gelungene Abende hochkarätigen Genusses.

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