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Girls Day und die Klassik: Frauen komponieren, dirigieren und spielen /​Konzert der Philharmonie Schwäbisch Gmünd

Tanja Goldstein, die quirlige Dirigentin der Philharmonie, ist stets für Überraschungen gut. Seit Beginn ihres Engagements für das Orchester und den Kolpingchor wartet sie mit immer neuen Ideen auf. Von Peter Skobowsky

Dienstag, 20. April 2010
Rems-Zeitung, Redaktion
2 Minuten 29 Sekunden Lesedauer

KONZERT. Diesmal war es der Girls’ Day (kann man das auch auf Deutsch sagen, wenn man zugleich Kirchenlatein mit Argwohn begegnet?), der über 30 Mädchen in Workshops (dito) für klassische Musik motivierte. Und dieses junge Publikum lauschte dem Abendkonzert mit Hingabe.
Zum anderen war das Konzertprogramm selbst ein genialer Einfall: Mit Kompositionen von Louise Farrenc und Louise Adolphe Le Bau wurde hierzulande Neuland betreten: Die Noten der Ouvertüre Nr. 1 e-​Moll op. 23 der ersten Dame wurden erst vor wenigen Jahren gedruckt, das Klavierkonzert d-​Moll der anderen existiert nur im Faksimile. Die Dirigentin ließ zu Beginn der Pause das Publikum Einblick nehmen in deren gestochen scharfe und saubere Handschrift. Die Instrumentalstimmen wurden mühevoll per Computer gesetzt, sodass die Probenarbeit nicht unnötig erschwert wurde.
Es ist löblich, dass Frau Goldstein wertvolle Hinweise zum weiblichen Akzent des Abends gab: Komponistinnen, viele Damen in den Reihen der Philharmonie. Zudem gab sich mit der erst 24-​jährigen Friederike Sieber, einer Gmünder Nachwuchspianistin, wiederum eine Dame die Ehre der Ausführung. Keine CD vom Werk zur Hand, mussten sich alle Beteiligten auf das volle Wagnis einlassen — beachtlich!
Nach der Pause rundete Schumanns Rheinische Symphonie — Nr. 3 Es-​Dur — das hochinteressante Programm ab. Alles in allem Romantik pur. „Das man so etwas in Schwäbisch Gmünd genießen kann!“, war der treffende Kommentar einer Zuhörerin.
Die Philharmonie war bestens disponiert — kein Wunder bei einer Dirigentin, die so richtig im Sturm und Drang als Gipfelstürmerin die Ihren begeistert. Da steckte viel intensive und harte Probenarbeit dahinter. Das Ergebnis gab ihnen Recht: Anspruch und Erfolg in Gleichklang zu bringen.
Louise Farrencs Ouvertüre ist ein ausgereiftes Stück, ideenreich, farbig instrumentiert und konsequent strukturiert. Aus einem Guss konnten so die Entwicklungen und Höhepunkte angegangen werden, stringent in der Einlösung.
Das Klavierkonzert der Le Bau ist gleichfalls ein Kabinettstück, in der Substanz eher bescheiden. Wunderschön der Klangteppich der ausgezeichneten Holzbläser. Die wachen Streicher boten angemessenen Widerpart. Der Klavierteil verrät die virtuose Spiegelung einer talentierten Komponistin, die — selbst auf der Höhe der Zeit — ihre Vorliebe für rasante Passagen oder zarte Impressionen erkennen ließ. Dafür waren die vielen Akkordbrechungen über der Orchesterbegleitung eher eitle „Klaviertiger“-Demonstration als durchkomponierter Ideendialog: kein Mangel an halsbrecherischer Akrobatik — hübsch, unterhaltsam.
Das Hören glich einem Wechselbad der Gefühle. Die Last einer ersten Aufführung nach dem Verschollensein über viele Jahre hinweg bedeutet eine umso größere Herausforderung an die junge Pianistin. Es galt, einige Gedächtnislücken zu überspielen, um sodann sofort wieder präsent zu sein. Im Fluss des Ganzen gab es immer wieder sehr schöne Passagen unterschiedlicher Gemütslage, die einen ob des inneren Mitleidens versöhnten. Die Gelassenheit von Dirigentin und Orchester boten sicheren Halt. Man kann Friederike Sieber darin bestärken, Noten zur Sicherheit bereitzuhalten, zumal es trotz der üblichen Erfahrung keine Nötigung zum Auswendigspielen gibt.
Bei Schumanns 3. war dann wieder alles vollkommen gelöst. So konnte die herrliche Musik strömen und gefangen nehmen. Blechbläser und Pauken steuerten den nötigen Glanz bei. Neben den glitzernden Trompeten“fanfaren“ gilt der Respekt den großartigen Hörnern. Den Streichern wäre zuweilen eine pointierter strukturierte Phrasierung und Akzentuierung zugute gekommen zur plastischeren Durchhörbarkeit der Motiventfaltung. So kam alles eher flächig, recht nobel und einheitlich daher — der hohe Schwierigkeitsgrad war auch für semiprofessionelles Spiel tückisch, dem Laien kaum gegenwärtig.
Zu Recht gab es keine Zugabe — der ganze Abend sprach für sich selbst. Man darf auf den 26. November gespannt sein bei Sibelius und Dvorak. Tanja Goldsteins unbändiger Wille machts möglich.

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