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Tannöd — ein Kriminalfall: Badische Landesbühne glänzte mit schauspielerischer Leistung im Stadtgarten

Eine düstere und beklemmende Atmosphäre muss auf dem bayerischen Einödhof Hinterkaifeck geherrscht haben, die 1922 in einem grausamen Massenmord kulminierte. Sämtliche sechs Bewohner des Hofes wurden mit einer Spitzhacke erschlagen – und das Verbrechen niemals aufgeklärt.

Dienstag, 04. Mai 2010
Rems-Zeitung, Redaktion
2 Minuten 16 Sekunden Lesedauer

THEATER (ww). Nach dem Roman von Andrea Maria Schinkel inszenierte Stefan Holm eine Bühnenfassung von Maya Franke und Doris Happl, die das Thema völlig anders angeht. Nicht die kriminalistische Aufklärung steht im Vordergrund, sondern es wird der Versuch unternommen, die damaligen Ereignisse atmosphärisch dicht zu erfassen. Die recherchierten Erkenntnisse werden einzelnen Personen zugeordnet und daraus eine mögliche bis wahrscheinliche Abfolge der Geschehnisse rekonstruiert.
22 beteiligte Personen werden dargestellt, deren Charaktere von lediglich acht Schauspielern verkörpert werden. Und das ist den Schauspielern der Badischen Landesbühne wahrlich gelungen. Ganz ohne Kulissen mit minimalen Änderungen in der Anzugsordnung schaffen sie es, auf der nur spärlich beleuchteten Bühne die vermutete beklemmende Atmosphäre den Zuschauern zu vermitteln.
Das perfekte Verbrechen
geschieht auf dem Einödhof
Carolin Elsner, Miriam Gronau, Evelyn Nagel, Alice Katharine Schmidt sowie Tobias Gondolf, Markus Hennes, Hannes Höchsmann und Jörg Watolla spielen nach Erfordernis verhalten bis leidenschaftlich die jeweiligen Rollen. Ausdrucksstark und glaubwürdig agiert Caroline Elsner, einmal naives Dummchen, das andre mal boshafte Gerüchteköchin, und Evelyn Nagel glänzt als resignierte alte Dannerin und sinnlos schwatzhafte Babette Kirchmeier.
So entsteht im Spiel allmählich ein Geflecht aus Gerüchten, Wahrnehmungen, Vermutungen und Tatsachen. Genau die Grundlagen, die dem wirklichen Täter Verschleierungen ermöglichen, die ihn niemals entdecken lassen. Das perfekte Verbrechen geschieht auf dem Einödhof; der Täter hatte gar den Nerv, den Hof noch ein paar Tage weiter zu bewirtschaften und in dieser Zeit seine Spuren zu beseitigen.
Gelungen auch der Kunstgriff, die Toten sprechen zu lassen. Damit können die Geschehnisse auf dem Hof vor dem Mord beleuchtet werden. So zeigt sich, dass der alte Danner sehr wahrscheinlich mit seiner Tochter Barbara ein inzestuöses Verhältnis unterhielt, das sowohl von seiner Familie als auch von Bewohnern des Ortes mehr oder weniger toleriert wird. Zumindest wird es unter den Teppich gekehrt. Aus diesem Verhältnis entstehen zwei Kinder. Damit deren Herkunft nicht zu offensichtlich wird, lässt sich die Tochter mit andern Männern ein. Ist die Vaterschaft dann öffentlich, verstößt sie die Liebhaber. Hier setzt sich die Bühnenfassung von den bekannten Tatsachen ab, wechselt ins Reich der Vermutungen, das Verbrechen wird emotionalisiert. Ein Verbrechen aus Leidenschaft ist wohl weniger schrecklich, zumindest verständlicher. Verschmähte Liebe der Auslöser? Wenn da nicht die Kinder wären, deren grausamer Tod die Gemüter am meisten aufwühlt. „Warum auch die Kinder?“ Das macht das Verbrechen unverständlich und damit monströs.
Dennoch unternimmt Markus Hennes den Versuch, die Tat des vermuteten Mörders als irrsinnigen Wutausbruch, als viehische Tat eines zutiefst Verletzten und Verzweifelten darzustellen. Und damit das eigentlich Unerklärbare irgendwie doch zu erklären — nicht zu billigen. In der Logik des Spiels gelingt ihm, dass man den grausamen Täter damit ebenfalls als Opfer unglückseliger Umstände begreifen könnte.
Die komplexen Vorgänge auf der Bühne zu verstehen ohne die dem Stück vorhergehende Einführung durch Dramaturgin Julia Sievers, ist schwierig. Es sei denn, dass man sich mit dem Stoff schon zuvor beschäftigt hat.
Schnell sind die Abfolgen der Szenen, verlangen vom Zuschauer höchste Konzentration, wenn er das Spiel verstehen will. Der abschließende große Beifall für die schauspielerische Höchstleistung war sehr verdient.

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