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Collegium vocale und Aalener Kammerchor gaben ein Konzert mit Werken von Johannes Brahms und Felix Mendelssohn Bartholdy

Es ist noch kaum zwei Jahre her, dass der Aalener Kammerchor mit der Art Capella Murnau in Augustinus ein höchst bemerkenswertes Konzert gab. Diesmal gab es ein Projekt mit dem Collegium vocale im Stadtgarten: zwei eher selten aufgeführte Werke auf Texte Goethes von Johannes Brahms und von Felix Mendelssohn Bartholdy . Von Peter Skobowsky

Mittwoch, 16. Juni 2010
Rems-Zeitung, Redaktion
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KONZERT. Der Rezensent ist genötigt, die Eingangsbemerkungen der damaligen Besprechung zu wiederholen: „Das Unschöne vorweg: Da singen … zwei hochrangige Kammerchöre, und die Zahl der Mitwirkenden ist größer als die der Zuhörer. Wie schon … vor geraumer Zeit dasselbe: Man geht in der Stauferstadt scheint’s nur zu sich selbst — einfach peinlich!“ Umso schöner, dass sich die Mitwirkenden nicht erbittern ließen, sondern ein Engagement an den Tag legten, das die durchaus erwarteten Ergebnisse zeitigte.
Thematisch wähnte man sich zurückversetzt in die Zeiten antiken Heidentums, hier in der vorzüglich „vergoldeten“ Sprache des Dichterfürsten — Motivation genug, diese in Komposition und Interpretation in einer Weise auszuloten, die alle Grenzen übersteigt und so der Größe der Kunst würdigen Ausdruck zu verleihen. Nach den Erfahrungen mit beiden renommierten Chören hieße es, Eulen nach Athen zu tragen, wollte man ein Abbild des Gehörten zeichnen. Allein der Enthusiasmus, mit dem man sich dem heiklen Projekt stellte, heischt selbstredend Respekt. Es war nur folgerichtig, dass sich die beiden Chöre zusammengetan hatten — so konnte man ohne jedes Forcieren den Kraftakt meistern: ob als je dreistimmiger Männer– oder Frauenchor oder als gemischtes Ensemble — Glanz und Strahlkraft ließen die vielschichtige Romantik aufblühen, gaben dem Geheimnisvollen des Textes gültige Gestalt.
Den Brahms („Gesang der Parzen“) dirigierte der Chorleiter der Aalener, Thomas Baur. Dem „barocken Lockenkopf“ spürte man auch diesmal jede Nuance ab, mit ästhetisch vollkommener, technisch klarer Gestik, welche die Choristen natürlich ansteckte, geradezu liebevoll „nötigte“. So kam der Brahms aus einem Guss, vom Orchester sensibel begleitet, dabei durchaus selbstbewusst kontrastiert. Neben erfahrenen Musikern mit der versierten Konzertmeisterin Monika Böhm hatten auch viele junge Leute ihre Chance. Dabei kam ein überaus lebendiges Spiel heraus, das in den Soli oder im Ganzen nur so sprühte: wunderbare Bläser (von der Piccoloflöte bis zur Posaune), dezidierte Pauken (samt Becken und großer Trommel) und homogenste Streicher. Seit dem Debüt des ensemble variable von 2009 ist dieses Orchester eine feste Größe im Musikleben der Region!
Die beiden anderen Kompositionen, Mendelssohns „Hebriden“-Ouvertüre und „Die erste Walpurgisnacht“, wurden von Walter Johannes Beck in bei ihm nicht anders erwarteter Authentizität dirigiert. Poesie und Dramatik ergänzten sich zu einem Gipfel an Ausdrucksintensität, der alle Gemütsregungen dieser Schilderung zu Gebote standen. Keine noch so raffinierte modische Werbung könnte einem Schottland so nahe bringen wie diese sensible Interpretation.
Schließlich die berühmt-​berüchtigte Walpurgisnacht mit ihren schauerlichen Reminiszenzen: heidnischer Kult in Variationen und im Gegenüber der „feindlichen“ Christen. Das ist der Stoff, dem Dramatik zwingend entspringt. Andreas Weller, dem vielseitig begabten lyrischen Tenor, gelang der Spagat zwischen Druiden und christlichem Wächter vorzüglich. Sowohl die Naturschilderung, die sich zum Lob Allvaters aufschwang, als auch die unter die Haut gehende Angst vor heidnischem Höllenspektakel fanden in ihm einen Deuter emotionaler Hochspannung. Ines Schumacher traf mit ihrem tragenden Mezzosopran die „Mitte“ aus Kassandra und Erda, schaurig schön!
Und der erst 22-​jährige Bariton Andreas Beinhauer gewann mit dem Charm seiner Unbefangenheit sofort die Herzen der Zuhörer in der Doppelrolle als druidischer Priester oder Wächter. Was tut’s, dass er nicht die „Abgeklärtheit“ seiner Rolle favorisiert, sondern mit sublimiertem Sturm und Drang überzeugt, klanglich umso ansprechender.
Beck arbeitete das Dialogische in allen Kontrasten überzeugend heraus. Da lebte alles, und gerade deshalb musste man keine Probleme mit Text und dessen Hintergrund bekommen. Musik sprengte auch da hörbar alle Moden. Dass die Chöre prächtig miteinander harmonierten, zu einem Klangkörper verschmolzen, ist das Verdienst beider Dirigenten und der transparenten Intelligenz der Sängerinnen und Sänger verdankt.
Ein wunderbarer Konzertabend — mit viel Applaus rechtzeitig vor dem ersten WM-​Spiel der deutschen Nationalmannschaft zu Ende gegangen.

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