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Festival Europäische Kirchenmusik 2010: Frieder Bernius dirigierte Robert Schumanns „Szenen aus Goethes Faust“

Im Jahr 2004 wurde Frieder Bernius Preisträger der Europäischen Kirchenmusik. Immer wieder stand er dem Festival in verschiedenen Funktionen zur Verfügung. Am Samstag wartete er wieder mit einer echten Überraschung auf: Auf dem Programm standen die Faust-​Szenen von Robert Schumann.

Dienstag, 27. Juli 2010
Rems-Zeitung, Redaktion
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KONZERT (-ry) Das ist in jeder Weise ein bemerkenswertes Werk, zu des Komponisten 200. Geburtstag zugleich ein posthumes Geschenk. Nikolaus Harnoncourt, der das Werk 1999 in Wien ausgegraben hatte, lobte es als Schumanns Opus summum. Und dessen Gattin Clara war sich sicher: „Dieses Werk wird meiner Überzeugung nach noch einmal seinen Platz neben den größten Werken überhaupt einnehmen.“
Bernius, der die Leidenschaft Harnoncourts teilt, Musik der Vergessenheit zu entreißen, teilt auch dessen unermüdliche Besessenheit um gültige Interpretationen. Schumann hatte sich ja in den fast zehn Schaffensjahren (1844 – 1853) die „Zähne“ daran „ausgebissen“ und verständlicherweise „nur“ Faust II im Visier. Dabei kam ein „Konglomerat zwischen literarischer Kantate, weltlichem Oratorium und überdimensionaler Chor-​Symphonie mit Erlösungsapotheose“ (Stalder) heraus, das fast jeden Rahmen sprengt. Dem enormen Anspruch des größten Chorwerks Schumanns stellten sich der Kammerchor und die Klassische Philharmonie Stuttgart, dazu 16 Solisten. Erwartungsgemäß gerieten die zwei Teile der Aufführung zu großer Chorsinfonik. Dem dramatischen und verinnerlichten Gestus wurde engagiert nachgespürt. Die Komposition lässt sich in der Deutung einiger Texte sehr viel Zeit, am exemplarischsten gegen Schluss: „Das Ewig-​Weibliche zieht uns hinan“. Auffällig ist der Sprachrhythmus bei Schumann, nicht einfach so adaptiert wie in vielen Vokalvertonungen, sondern den Eigengesetzen der Sprache selbstbewusst folgend. Das führt zu ganz besonderer Spannung, der Bernius freie Entfaltung ließ. Die Klassische Philharmonie zeigte sich als souveräner Partner. Begleitungsfunktion, Instrumentalsoli (Violoncello, Oboe und Harfe) und Klangsprektrum (etwa die Holzkapriolen beim Lemurenchor) gelangen vorzüglich, bemerkenswert, weil die Musiker aus ganz verschiedenen Formationen kommen. Die Einheit der Interpretation war das durchgängige Qualitätskriterium.
Der Kammerchor bestach durch absolute Präsenz in allen Lagen. Die Chorsolisten, allen voran Maria Bernius, glänzten professionell, standen ihren „großen“ Kolleg(inn)en in nichts nach. Die Positionierung des Chores und seiner Solisten war angesichts der berüchtigt-​heiklen Münsterakustik nicht immer optimal. Höhere Podeste hätten wirksam abhelfen können, zumal das Orchester weder säuseln noch die Vokalisten zudecken darf.
Sarah Wegener sang zusätzlich zu den für sie vorgesehenen Rollen ein glänzendes Gretchen: intelligent, mühelos bis in exponierte Höhe hinauf, ausdrucksstark, nur die Vokalfärbung in der Höhe variierte unnötig. Hans Christoph Bergemann erwies sich als distinguierter Faust (samt Zweitrollen) mit natürlicher Gestaltung — ein Bariton, wie man ihn gern hört. Konstantin Wolff als bassbaritonaler Kollege (Mephistopheles u. a.) bestach in Tonumfang, Präsenz und Diktion. Theatralisches Anschleifen oder entsprechende Wortenden waren dagegen entbehrlich. Maximilian Schmitt als Ariel nutzte seinen lyrischen Tenor mit viel Klangsinn, heldisch expandierend. Die Linien vertrügen konsequenteres Legato. Farblich ausgezeichnet ergänzten die Altistinnen Sophie Harmsen und die aus dem Gmünder Raum stammende Renée Morloc. Das Damenquartett (Mangel, Schuld, Not und Sorge) überzeugte völlig.
Die geschickte Textauswahl Schumanns erbrachte eine Fülle gegensätzlicher musikalischer Eindrücke in den auch unterschiedlich räumlichen Szenen. So gab es bei aller notwendigen Textstraffung ein dramatisches Ganzes von überwältigender Unmittelbarkeit. Dies auszuloten, war das Verdienst des rührigen Frieder Bernius, der es natürlich relativ leicht hatte, angesichts seiner professionell agierenden Mitmusiker alle Intentionen wirksam umzusetzen. Wenig vermittelbar blieb aber eine gewisse eckig-​steife Gestik des Dirigierens.
Mag die Gmünder Aufführung auch ein Testfall für die am Sonntag in Kloster Eberbach wiederholte Aufführung beim Rheingau-​Festival gewesen sein, die Authentizität künstlerischen Anspruchs zog sich wie ein roter Faden durch die Umsetzung der durchaus schwierigen Partitur. Die Begeisterung des Publikums war nur folgerichtig.

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