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Festival Europäische Kirchenmusik: W. A. Mozarts Große Messe in c-​Moll begeistert die Besucher im Heilig-​Kreuz-​Münster

Wenn der Begriff „konzertierte Aktion“ keine Verlegenheitsfloskel als bloße Worthülse, sondern mit Sinn gefüllt ist, so ist er die treffende Charakterisierung der Vorbereitung und Ausführung von W. A. Mozarts Großer Messe in c-​Moll (KV 427).

Freitag, 30. Juli 2010
Rems-Zeitung, Redaktion
3 Minuten Lesedauer

KONZERT (-ry). Bereits vor knapp fünf Jahren wurde das Werk vom Motettenchor aufgeführt, aber in der bewusst bescheidenen Retuschierung von Richard Maunder (1988).
Es verwundert nicht, dass es Ergänzungen des Torsos gibt, zumal dieser förmlich danach schreit, beispielsweise vom Salzburger Professor Helmut Eder. Und kein Geringerer als Helmuth Rilling und die Bachakademie Stuttgart erteilten 2004 dem amerikanischen Musikwissenschaftler Robert D. Levin den Auftrag, das hochrangige Werk zu ergänzen und herauszugeben. Dieser hatte bereits 1991 das Mozartsche „Requiem“ in einer Neufassung ergänzt und so Erfahrung mit dem heiklen Metier. Am 15. Januar 2005 fand bereits die Uraufführung der c-​Moll-​Messe statt – ein Meilenstein der Mozartrezeption!
Die Akribie Levins und dessen hohe Achtung vor Mozart steckten förmlich an: Stephan Beck, den Leiter des Philharmonischen Chores und des Chores der Pädagogischen Hochschule Schwäbisch Gmünd, der seinen Respekt zum einen in seiner ausführlichen Programmeinführung und zum anderen in den Details der bemerkenswerten Aufführung im Heilig-​Kreuz-​Münster belegte. Die Ansteckung betraf auch den Rezensenten: Nur in Kenntnis der Komplexität von Entstehung und Ausführung der c-​Moll-​Messe ist er überhaupt in der Lage, angemessen zu schreiben. Dem „Uninformierten“ entgehen ja viele wichtige Aspekte, die das Ganze erst zu diesem Ereignis werden lassen. Und ein Ereignis war die Aufführung allemal!
Das Werk in der Fassung Levins vereint Demut, Glanz und Anmut. Die Ideenvielfalt dieser missa solemnis lässt das Opus Mozarts als eines seiner größten erkennen. Es teilt das Schicksal des (äußerlich) Unvollendeten mit anderen bedeutenden Komponisten. Levin hatte alle auffindbaren Quellen gesichtet, verglichen und ausgewertet. Allein in elf Teilen hat er ergänzt. Nur das „Crucifixus“ und das „Et vitam venturi“ sind eigens hinzukomponiert unter Rückgriff auf Vorhandenes. Dem Interessierten sei der kritische Bericht der Carus-​Ausgabe empfohlen.
Das doppelt Pädagogische im Zusammenwirken beider Chöre ist die Hinführung der Jungen zu solcher Herausforderung und die im Ergebnis überzeugende Ergänzung stimmlicher Qualitäten. Dabei ist besonders bemerkenswert, wie Stephan Beck in dem ihm eigenen Charme präzis, aber demonstrationsangemessen leitet: ohne optische oder andere Allüren, freundlich ansteckend, betont fordernd, immer aber elegant, sodass die heikelsten Chorkoloraturen (z. B. im doppelchörigen „Hosanna“) ineinander gedeihen, als wäre dies das Selbstverständlichste in der Welt. Dabei lässt die Partitur eher erschauern ob des Schwierigkeitsgrades. Auch die Tücken der Akustik schaffen keine Nervosität. Nur einmal beim „Et resurrexit“ „klappert“ der Basseinsatz, was auch an den Aufstellungsbedingungen liegt.
Durchhaltevermögen, dynamisch-​stilistische Sicherheit in allen Belangen und die Geschmeidigkeit des Angehens (bis zu den Ritardandi) lassen die Chöre zu Hochform auflaufen. Das Engagement zeitigt wunderbare Früchte.
Die Sinfonietta Tübingen als Kooperationspartner seit einigen Jahren hat wesentlichen Anteil an der qualitativen Wirkung. Die Musiker gestalten ihren Part selbstbewusst, dialogisch begleitend und in allen Gattungen Glanz verleihend. Nur die colla parte (zu Alt, Tenor und Bass des Chores) mitlaufenden Posaunen sind nicht immer synchron. Das Holz strömt wundervoll (Flöte und Oboe im Solo, die anderen im Tutti). Schließlich war der Orgelpart endlich einmal zu hören.
Die Solistenauswahl war ein Glücksfall. Die erst 25 Jahre alte Hanna-​Elisabeth Müller verkörpert das Non plus ultra fraulich lyrischen Koloraturgesangs. Berückendes Timbre, eine endlose Atemreserve, das Durchspannen der Bögen, der geforderte Tonumfang mit gewaltigen Sprüngen (as bis c’’), alles in blendendem Legato (ohne „Register“) — einfach zauberhaft. Klug, dass sie mit der „Königin der Nacht“ warten kann und die „Pamina“ präferiert. Den Namen wird man sich merken müssen!
Stephan Beck besetzte die zweite Sopranpartie mit der Mezzosopranistin Sonja Koppelhuber, nur fünf Jahre älter als ihre Kollegin, mit einer Spannweite, die der Rolle ausgezeichnet bekam und im Duett bzw. den Ensembleteilen farblich klangvoll und angenehm kontrastierte. Prächtig, wie die Querung beider Stimmen glänzte. Der russische Tenor Alexander Judenkow ist Lyriker mit heldischer Ausweitung seiner präsenten Stimme, die solistisch und im Terzett/​Quartett wirkungsvoll ergänzte, nur gelegentlich mit Druck.
Der japanische Bassbariton Teru Yoshihara kam mit seinem schönen Organ zu wenig zur Geltung, hatte er doch nur gegen Schluss (im „Benedictus“ und „Agnus Dei“) im Soloquartett zu singen. In der Kürze lag die Würze: überzeugend und wirkungsvoll. So erlebte das übervolle Heilig-​Kreuz-​Münster ein beeindruckendes Konzert mit vielen Höhepunkten. Auch dieses Mal galt der „Prophet im eigenen Lande“ keineswegs nur etwas. Dass Bischof Dr. Gebhard Fürst eigens nach Schwäbisch Gmünd gekommen war, sei schließlich dankbar erwähnt.
Lang anhaltender Beifall und die obligaten Rosen sowie der Blumenstrauß an den Dirigenten, der ihn demonstrativ der Sopranistin gab und ihr die Rose abnahm, waren das mehr als berechtigte Echo auf den erlebten Hörgenuss.

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