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Ein echtes Erlebnis war das zweistündige Konzert mit dem Dirigenten Wolfgang Katschner in der Augustinuskirche

Die heutige Gesellschaft verdrängt häufig den Tod, zumindest wird das Sterben bis zur entsprechenden Bestattung anonymisiert. Früher waren Sterben und Tod eingebettet in Familie, Nachbarschaft und vor allem in geistlicher Begleitung. Das Dienstagskonzert der EKM in Augustinus legte musikalisch davon beredt Zeugnis ab. Von Peter Skobowsky

Donnerstag, 05. August 2010
Rems-Zeitung, Redaktion
2 Minuten 18 Sekunden Lesedauer

KONZERT. Die sorgfältige Programmzusammenstellung und die Ausführung unter dem rührigen Forscher-​Dirigenten Wolfgang Katschner geriet zu einem weiteren Höhepunkt des Festivals, vom SWR mitgeschnitten.
Augenfällig die Positionierung der Künstler: Im ersten Teil mit Kantaten von Bach und Buxtehude standen die acht Vokalisten der Capella Angelica (je zwei Gattungsstimmen) vor der Lautten Compageney Berlin, ab den „Musikalischen Exequien“ von Schütz, wie gewohnt, dahinter. Alle Jesus-​Worte wurden von der Kanzel, diejenigen der Engel von der Empore herab gesungen. Allein dies war von prägender Wirkung – inhaltlich und akustisch – und belegte so auch den gewünschten Dialog, der Kriterium des Ganzen war.
Die professionelle Musizierweise stand keine Sekunde in Frage, die geistig-​geistliche Durchdringung auch nicht. Man spürte durchgehend das Engagement der Ausführenden. Zugleich konnte man der barocken Vielfalt innewerden, mit der die Komponisten der Botschaft vom christlichen Sterben und Auferstehen gläubig gültigen Ausdruck verliehen.
Stimmführung, Phrasierung und vor allem eine überaus sensible Dynamik machten das knapp zweistündige Konzert zu einem echten Erlebnis. Es ist immer ein gutes Zeichen, wenn man selbst manches vielleicht anders ausführen würde, einen dennoch die Interpretation überzeugt.
Die wenigen kritischen Einlassungen sind zumeist marginal, wenn z. B. manche Schlüsse überkurz genommen wurden oder die deklamatorische Absicht zum regelrechten Blähen der Töne mitsamt der Gefahr der Wortsezierung führte (bei den auch stimmtechnisch nicht immer resonierenden Tenören am auffälligsten), während andererseits die vier Sopran-​/​Alt-​Stimmen nie das homogene Strömen vernachlässigten. Wie wohltuend, wenn in den gehaltenen Schlüssen dem Nachklingen Raum gegeben wurde. Zu beklagen ist die Verselbstständigung mancher Üblichkeiten, die wohl gar nicht mehr reflektiert werden. Die Notation ist das abstrakt-​optisch eine, das andere ist die hörpsychologisch-​ästhetische Ausformung: seelisch lebendig.
Sehr schön war die Idee, dreimal einen (instrumental ausgeführten) Bach-​Choral einzuschieben, einmal mit Oboe, den beiden Lauten und Orgel, das zweite Mal nur mit Streichern. Das tat den Sängern nicht nur stimmökonomisch gut, sondern war auch bezüglich des Innehaltens wertvoll. Das Publikum zeigte Gespür für diese Geste und enthielt sich – wohltuend – des Zwischenapplauses. Wolfgang Katschner dirigierte gestisch und ästhetisch überzeugend, hatte das Ganze stets in der Hand. Die Wichtigkeit des Textes genoss Priorität und führte so zu wichtiger Betonung der Schlüsselworte.
Dass der Dirigent Humor besaß, zeigte seine Frage, wer denn in der Pause die Stimme (Noten) der 1. Geige weggenommen habe. Die Verteilung an die Chöre I oder II, auch ihr Miteinander (solistisch verdoppelt oder im Ganzen) führte zu einer weiteren Qualitätssteigerung.
Tempi sind – wie zu allen Zeiten – Geschmacks– oder Vorstellungssache. Jenes sehr rasche aber bei der II. Motette von Heinrich Schütz, „Herr, wenn ich nur dich habe“, verdarb die mehrfach dialogische Struktur zu einem unkonturierten Klangteppich. Etwas weniger wäre erheblich mehr gewesen an Differenzierung im großen Bogen.
Das Geistliche Konzert „Christus ist mein Leben“ des viel zu wenig aufgeführten Johann Rosenmüller und der Prætorius-​Choral „Hört auf mit Weinen und Klagen“ beschlossen den Kreis wunderbarer barocker Werke, die in ihrer vokalen oder instrumentalen Kolorierung und feinen Melismatik einen ganzen Kosmos erschloss. Die Aufnahmetechnik erzwang die Wiederholung der Schützschen III. Motette, vom Publikum dankbar als Zugabe genossen. Alles in allem ein bewegender Abend des memento mori.

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