Direkt zum Inhalt springen

Nachrichten Kultur

Ein Leben vor der Bühne: der Theaterkritiker Gerhard Stadelmaier las im Gmünder Rathaus aus seinem neuen Buch

Er braucht nicht gerecht sein, er darf sich ganz als reizbares Subjekt offenbaren. Nur langweilig darf der Theaterkritiker nicht sein. Das ist natürlich ein Ideal — aber es gibt Rezensenten, die ihm nicht so selten nahe kommen. Einer davon war gestern im Gmünder Rathaus zu Gast: Gerhard Stadelmaier.

Dienstag, 07. September 2010
Rems-Zeitung, Redaktion
2 Minuten 40 Sekunden Lesedauer

AUTOREN (rw). Die großen Kritiker, es gibt sie noch. Jedenfalls solche, die sich einen Namen machen: „Was Marcel Reich-​Ranicki für die Literatur ist, ist Gerhard Stadelmaier fürs Theater“, so führte Oberbürgermeister Richard Arnold den Journalisten ein, der in der dritten und sehr gut besuchten Soiree im Rathaus die Hauptrolle spielte. Wer will, kann in der FAZ den gemeinsamen Nenner sehen — dort ist Gerhard Stadelmaier seit 20 Jahren und Theater-​Ressortleiter, „der berühmteste und meistgehasste Theaterkritiker deutscher Sprache: viel bewundert und viel gescholten“, wie die „Welt“ vor kurzem schrieb, und wer noch ein bisschen klassische Bildung besitzt, der weiß, dass ein Zitat aus dem zweiten Teil von Goethes „Faust“ in diesem Satz steckt.
Davor war Stadelmaier Theaterkritiker bei der „Stuttgarter Zeitung“, und noch weiter in der Vergangenheit — 40 Jahre ist’s her, ein Schwabenalter — rezensierte er, der in Gmünd aufgewachsen war, für die Gmünder Lokalzeitungen die Aufführungen der Landesbühnen im alten Stadtgarten, damals Student und freier Mitarbeiter. Manchmal nicht zum Gefallen eines altgedienten Redakteurs: „Stadelmaier. Des gohd net. Des kritisiert d’Leit.“
Aber es geht immer um die Leute: um die Regisseure, die Schauspieler, die Autoren, das Publikum und den Kritiker — das ist der Kosmos des Theaters. Seit Mitte August ist das Buch auf dem Markt, in dem der Theaterkritiker seine Erfahrungen und Erlebnisse aus den letzten 30 Jahren zusammengefasst und nach Themen gesammelt hat: „Parkett, Reihe 6, Mitte“ — dort, wo der Rezensent zu sitzen pflegt. Nicht sachlich, aber voller Sachkenntnis, klug und kritisch, polemisch und pointiert. „Das Theater kann auf den Theaterkritiker verzichten. Es ist 2500 Jahre alt, nur die letzten 250 Jahre wird es von Theaterkritikern begleitet“. Seit Lessing, dem Urvater der Theaterkritik — allerdings nur was die Stücke anbelangt, „vor Schauspielern zog er den theaterkritischen Schwanz ein.“
Das Theater bleibt der Bezugspunkt des Kritikers, es ist seine erste Schule und der „Ort, wo sich Worte in Fleisch und Blut verwandeln“. Ihm verdanke er alles — aber er sei ihm nicht verpflichtet, meint Stadelmaier, „er hat allein dafür zu sorgen, dass es seinem Lesepublikum gut geht.“ Auch jenes Publikum, welches das Stück nicht gesehen hat, die Besprechung aber goutiert: „Eine gute Pointe ist besser als eine schlechte Inszenierung.“
Soweit der Kritiker über seinen Stand. Weiter in der Typologie ging es mit dem Regisseur. Kein Wort im Gmünder Rathaus über jene, die für Stadelmaier Stückezerstörer sind, die Romane und Filme verwursten und die großen Themen scheuen. Dafür eine Hommage an Peter Brook, bei dem man erfahren könne, „wie einfach Wunder sind und wie wunderbar Einfachheit.“
Hinüber zu den „kleinen deutschen Szenen“ wie das Gespräch der Albanierin mit der Italienerin über deutsche Frauen, eine kleine Vignette zur Integrationsdebatte. Und dann hin zur großen Satire, aus der man schon den alttestamentarischen Ton heraushört: „Oh Herr schmeiß Hirn ra.“ Schauplatz: Stuttgart und die Mäulesmühle; Handlung: ein Königsmord. Schon eine Weile her, aber die Charakterisierungen haben es noch immer in sich: Günther Oettinger, „zu wenig Substanz, ein politischer Null-​Ouvert“; der gute König namens Erwin Teufel, der weggemobbt wurde, weil er nicht fernsehtauglich und nicht gebissblitzend war. Es wurde still im Sitzungssaal, auch der OB blickte ganz versonnen drein. Aber mit Gmünd meinte es Stadelmaier gut — „bekannte Gesichter, gemischte Gefühle“, sagte er mit Botho Strauß. Viele Optikgeschäfte, „so viele gibt’s in ganz Paris nicht“, viele Bäcker, aber vieles sei schöner als früher. Auch der Spiralblock-​Zwischenfall kam zur Sprache, dahinter eine Verletzung: Er habe nicht erwartet, dass von Feuilleton-​Kollegen soviel Häme und Niedertracht über ihn ausgekübelt wird, bekannte Stadelmaier. Er habe die Attacke des Schauspielers als Angriff auf die Zunft aufgefasst. Vielleicht hätte er es ahnen können — auch den Kollegen geht die Pointe über alles.

14 Tage kostenlos und unverbindlich testen?
Das RZ-Probeabo - digital oder klassisch mit Trägerzustellung

3411 Aufrufe
642 Wörter
4990 Tage 11 Stunden Online

Beitrag teilen

Hinweis: Dieser Artikel wurde vor 4990 Tagen veröffentlicht.


QR-Code
remszeitung.de/2010/9/7/ein-leben-vor-der-buehne-der-theaterkritiker-gerhard-stadelmaier-las-im-gmuender-rathaus-aus-seinem-neuen-buch/