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Geglückter Einstieg mit der Philharmonie

Das Herbstkonzert der Philharmonie Schwäbisch Gmünd markierte eine Zäsur. Nach Tanja Goldsteins plötzlichem Rückzug übernahm nicht nur Thomas M. J. Schäfer die Leitung des Projekts, sondern das Programm führte hin zu einer elementaren Arbeit.

Dienstag, 15. November 2011
Rems-Zeitung, Redaktion
2 Minuten 18 Sekunden Lesedauer

KONZERT (-ry). Weg vom flächigen Glanz großer Farbenteppiche von ansteckendem Pathos und hin zu solider, handwerklicher Präzision. Kärrnerarbeit zwar, aber umso eindringlicher, ja dankbarer ob der Angemessenheit von Leistungsanforderung und –erbringung. Und sage keiner, dass das Programm dadurch gelitten habe. Hier ging es um filigrane Details, aufwändig, aber leistbar. Hinzu kommen biografische Facetten: ein „alter“ erfahrener Haydn, ein Beethoven im „mittleren“ Alter und ein Jüngling im noch zarten Alter von 16 Jahren: Franz Schubert. Die geistige Verwandtschaft der Wiener Klassiker ist offenkundig, die Vielfalt der Ideen und ihrer Durchführung einfach genial. Damit war der Horizont aufgetan für ein bemerkenswertes Konzert von nachhaltiger Wirkung.
Die Philharmonie hatte zielstrebig die Herausforderungen angenommen und steigerte ihre Kompetenz hörbar. Und Thomas M. J. Schäfer als 32-​jähriger Philharmonie-​Debütant nahm die Herausforderung respektabel an. Man spürte stets die gewissenhafte Auseinandersetzung mit allen drei vorgetragenen Werken, die er gestisch zwingend umsetzte. Artikulation, Phrasierung und Dynamik ließen ein lebendiges Panorama wachsen, das zugleich die kompositorische Güte spiegelte.
Es ist ohne Beispiel, dass „Papa“ Haydn 104 (resp. 108) Sinfonien geschrieben hat, keine als reine Formübung oder gar am „Fließband“, und so hatte die gut disponierte Philharmonie ausreichend Gelegenheit zu frischem Spiel bei seiner 82. in C-​Dur (später als „Der Bär“ benannt), die Kantilenen wunderschön zeichnend. Nicht nur die vielen jungen Schüler, die diszipliniert lauschten, warteten auf die Bären-​Assoziation im Finalsatz. Der jugendliche Schwung des „alten“ Haydn hatte einfach Charme!
Beethovens Klavierkonzert Nr. 3 c-​Moll op. 37 war eine einzige Offenbarung. Der Stuttgarter Pianist Jürgen Kruse war der überaus souveräne Interpret; wohltuend: ohne jedes eitle Gebaren, ganz der Deutung verpflichtet, in ständig kontrolliert unauffälligem Dialog mit dem Dirigenten, dabei von einer Qualität des Anschlags, des Nachzeichnens der Linien, der Brillanz virtuoser Bravour und geistiger Größe.
Es zeichnet diesen ungewöhnlichen Künstler aus, eine gelassene Spannung durchzuhalten. Da kommt keine Sekunde lang Nervosität auf; eine in sich ruhende Körperhaltung erlaubt eine umso subtilere Differenzierung. Und die Philharmonie mit Thomas M. J. Schäfer nimmt diese Gelassenheit gleichsam auf, begleitet nahtlos präsent, ist zuverlässiger Dialogpartner. Wie schon bei Haydn tragen die Bläser, bieten die Streicher ein distinguiertes Fundament, die Pauken setzen unaufdringlich markante Punkte. So ist das Zuhören ein ungetrübter Genuss, der auch nicht leidet durch einen heiklen Pianoeinsatz des 1. Horns am Schluss des Largo, das stringent in ein furioses Rondo mündet. Kadenzen und die nicht angesagte Zugabe (Debussy?) Jürgen Kruses unterstreichen die Leichtigkeit einer Virtuosität zwischen zärtlichen Arpeggien und zulangend perlenden Linien. Ein Wiederhören mit dem wunderbaren Pianisten wäre ein Geschenk für die Stadt, die Philharmonie und das begeisterte Publikum.
Wer hätte geglaubt, dass Schuberts 1. Sinfonie D-​Dur op. 82 ein derart reifes Meisterwerk ist? Es grenzt an ein Wunder, so etwas von einem 16-​Jährigen offeriert zu bekommen. Der Anspruch ist enorm, dafür der Ertrag gründlicher Vorarbeit beachtlich. Schäfer fordert energisch, zeichnet Ausdruck und Kantilenen zwingend. In der Zugabe des Menuetto allegro (quasi ein Scherzo) ist der Rest von Anspannung vollends dahin mit dem Ergebnis noch gelösterer Ausdruckskraft. Bei konsequenter Ausformung seiner Schlagtechnik wird man sicher noch von diesem talentierten Nachwuchsdirigenten hören. Sein Einstieg mit der Philharmonie darf als geglückt bezeichnet werden. Folgerichtig spendeten auch die Gmünder Philharmoniker Beifall.

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