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Von wegen verstaubt: Theater Lindenhof mit „Don Quijote“

Don Quijote, ein Spinner aus dem 17. Jahrhundert? Verstaubter Stoff, ausgelutscht und auf Windmühlen reduziert? Von wegen. Das Theater Lindenhof pfefferte eine schwungvolle Inszenierung auf die Bretter des Stadtgartens, die es in sich hatte.

Donnerstag, 24. November 2011
Rems-Zeitung, Redaktion
2 Minuten 40 Sekunden Lesedauer

THEATER (wil). Schon die offene Bühne des Peter Parler Saals verriet, dass hier nicht grau in grau geboten wird. Ein Geiger, ein Gitarrist und ein Schlagzeuger stimmten melancholisch ein, steigerten sich dann aber bis zum ekstatischen Tango und leisteten als Hintergrundgeräusche während der ganzen Aufführung treue Dienste.
Die arabischen Wandschirme dienten wirklich als Umkleide für die fünf Akteure, die sich in unzähligen Rollen mit ständig wechselnden Kostümen präsentieren mussten, symbolisierten aber schon am Anfang das Exquisite, das dieser Inszenierung werden sollte. Der eloquente Oliver Moumouris als Don Quijote, der sein Deutsch wie ein Gastarbeiter und sein Spanisch mit Stolz sprach und Berthold Biesinger als Sancho Pansa, der aus seinem Schwäbisch nicht herausfand, bildeten ein Paar, wie es unterschiedlicher kaum sein konnte.
Gerd Plankenhorn, Constance Klemenz und Silvia Danek vervollständigten das Ensemble und teilten sich die übrigen Rollen, so als Herzogspaar mit Prinzessin, als Wirt mit Freudenmädchen, als Hauspersonal oder berittene Polizei. Regisseur Heiner Kondschak hat Cervantes zwei Bände über den Ritter von La Mancha zusammengewürfelt und gestrichen, das Bekannte wie auch das Spielenswerte herausgeholt, mit aktuellen Pointen gespickt und einfachen Mitteln verlustigt, dem Stück aber auch zeitlose Tiefe gegeben und das Publikum nachdenklich gemacht.
Kondschak beginnt mit der Verbrennung der Ritterbücher, die Don Quijote zu dem machten, wie wir ihn alle kennen. Schon hier zeigt sich das Skurrile, das zumindest die erste Hälfte des Stückes vorherrschen sollte. Es gibt keinen Scheiterhaufen, die Bücher werden im Hühnerhof verbrannt und jede Aktion begleiten die Schauspieler mit aufgeregtem Gegacker. Don Quijote sucht derweil seinen Knappen, und da sich auf der Bühne niemand finden lässt, steigt er hinab, sucht unter den Ostälblern - Publikumsbeteiligung im Stadtgarten ist ungewohnt. Aber wenn auch niemand auf die Bühne gebeten wurde, eine durfte doch sein imaginäres Pferd halten und so war von vornherein eine Richtung vorgegeben.
Das Publikum war eingebunden, bekam das Stück quasi backstage mit, mit gesungenen oder gesprochenen Erklärungen der Handlung, mit Kommentaren und viel scheinbarer Improvisation. Sämtliche Reitszenen wurden pantomimisch gestaltet, die Requisiten aus Papier zeitnah hergestellt, das Große vereinfacht. Wo Don Quijote auf Windmühlen traf, hatten die Melchinger Ventilatoren aufgestellt und eine Windmaschine mähte den Ritter mit Papierschnipseln darnieder.
Als Don Quijote seine Waffenwacht in der Kapelle halten will und der Wirt ihm gesteht, dass es hier keine Kapelle gebe, protestieren die Musiker. Hintersinn ist angesagt, in dieser spritzigen Inszenierung, der Don nimmt sich selbst nicht ernst. Der Herzog ist eine Parodie auf Helmut Kohl und seinen Saumagen, Papademos der wirkliche Ritter von der traurigen Gestalt.
Der zweite Teil, den Cervantes zehn Jahre später veröffentlichte, nimmt dem Stück die Tragikomik, macht es zum tiefschürfenden Werk der Literaturgeschichte. Was das Herzogspaar als Volksbelustigung plante, wird zur ernsten Problemlösung. Sancho Pansa löst mit einfachem Zuhören und Nachdenken einen problematischen Rechtsstreit und erkennt, dass nicht Reichtum und Macht der Schlüssel zum Glück sind. Er findet seinen Platz im Leben dort, wo er hingeboren wurde. Don Quijote wird philosophischer: „Das Leben ist ein Geschenk und jedes Geschenk ist ein Traum“. So hat auch er sich seinen Traum verwirklicht, ihn gelebt.
Er war nie verrückt, er hat die ganze Zeit alle durchschaut, die mit ihm spielten. Er provoziert die eingespielte Geste, die beim Namen „Melisande“ gezeigt werden muss und kommentiert die Entlarvung mit einem Lafrenz’schen „Geht doch“. Er hat nicht nur bemerkt, dass der Goldhelm, den er dem Barbier abnahm, nur dessen Blechschüssel war, nein, er spricht aus, dass es nur das Ventilatorenschutzgitter war. Eigentlich ist er ein wahrer Held, der den Mut hatte, seine Verrücktheit zu leben und allen, die mit ihm spielten, etwas vorzuspielen. Nachdenklich muss uns dann der Schluss der Inszenierung stimmen, eine Videoeinspielung von der Alb, als Don Quijote und Sancho Pansa Windrädern entgegenreiten.

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