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Das Leben der Schatten — Lesung mit Gerburg Maria Müller

Kann der Schatten des Ermordeten die Täterin überführen? Kann ein Schatten ein Eigenleben bekommen und Mensch werden? Ist der Schatten der personifizierte Tod? Fragen, denen bekannte Autoren nachgingen – in Geschichten, die im Schattentheater lebendig wurden.

Montag, 05. Dezember 2011
Rems-Zeitung, Redaktion
1 Minute 53 Sekunden Lesedauer

LESUNG (wil). Am Donnerstag konnte Rainer Reusch im entstehenden Schattentheater-​Museum im Freudental ein vollbesetztes Haus zur ersten Schattenlesung begrüßen. Gerburg Maria Müller trug mit ihrer wohlklingenden Stimme, stets perfekter Artikulation und einfühlsamer Betonung eine Ballade von Mörike, ein Märchen von H. Ch. Andersen und schließlich eine Erzählung von Edgar Allen Poe vor, die mit Sandbildern illustriert wurden. Und was Christian Kaiser und Jan Friedrich von „Sandtogether“ im Sandumdrehen mittels Beamer an die Wand warfen, war hohe Perfektion für den Augenblick, selbst flüchtig wie ein Schatten im Mondlicht.
Mörikes Ballade spielt zur Zeit der Kreuzfahrer, handelt aber vom ewig aktuellen Thema der unerfüllten Liebe und ehelichen Treue. Die Gattin vergiftet den Trank des abziehenden Burgherrn, dieser stirbt planmäßig, wird aber in selbiger Nacht von allen Bewohnern seines Schlosses wahrgenommen, die meuchelnde Gattin verstirbt ebenfalls an diesem Schock und hinterlässt ihren Schatten an der Schlosswand – quasi als Symbol, dass sie ihren Frieden im Totenreich nicht finden kann.
Hans Christian Andersen, der über 160 Kunstmärchen verfasste – wie Rainer Reusch in seiner Kurzbiografie erläuterte – beleuchtet das Verhältnis des Menschen zu seinem Schatten. Er schickt einen Gelehrten aus dem nüchtern-​kalten Norden in eine südländische Stadt, die von den Sandkünstlern detailgetreu aus Sand gebaut wurde.
Und da das Material flüchtig ist wandelte sich das Bild mit der Erzählung von der Stadtansicht über die Zyressenallee bis zum beschriebenen Balkon, „dem Vorgemach am Hofe der Poesie“. Mit Sand Hand in Hand arbeiteten Christian Kaiser und Jan Friedrich, schufen zeitgleich Mann und Schatten, waren immer auf der Höhe der Lesung. Als der Mann seinen Schatten auf jenen gegenüberliegenden Balkon schickt, macht sich der Schatten selbstständig, kehrt nicht mehr zurück – und dem Manne wächst ein neuer Schatten. Er kehrt zurück nach Norden und aus Sand entsteht die hohe Eingangshalle in skandinavischer Backsteingotik. Da besucht ihn eines Tages sein Schatten, inzwischen selbst ein stattlicher Mann, sie befreunden sich und allmählich übernimmt der Schatten die Herrschaft, der Rollentausch wird perfekt – bis am Ende der Schatten seinen einstigen Herren hinrichten lässt. Aber kann man von einem Herrscher aus der Finsternis anderes erwarten?
Auch Edgar Allen Poe, dessen Geschichte im griechischen Altertum angesiedelt ist, erzeugt die Spannung mit einer banalen Beschreibung einer lustigen Abendgesellschaft, in der ein schattenhafter Unbekannter auftaucht, der sich endlich als der Tod deuten lässt.
Noch mehr Schattenhaftes hat Rainer Reusch in einem Kurzfilm zusammengefasst, der den Schatten nachspürt: in der Literatur, in Fotografie und Film, in der bildenden Kunst und schließlich in der Werbung. Denn ohne Schatten fehlte uns das Licht.

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